Allgemeine Rundschau.
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fahre des bekannten preußischen Minister von H.) gehalten wissen wollte, beginnt mit der Erklärung an seine Diener, daß sie allzumal grobe, ungehobelte, dumme und unachtsame Kerle wären, denen er nun mit folgenden Lebensund Sittenregeln väterlich an die Hand, sogleich aber auf jede Uebertretung den gehörigen Trumpf setzen wolle. Es folgen nun eine Reihe von Strafen, von denen wir folgende als besonders charakteristisch herausheben.
Wer nichts aus der Predigt behält, soll wie ein Hund auf der Erde liegend, sein Mittagbrod fressen; wer flucht, soll ein Stunde lang mit bloßen Knieen auf einem scharf gehobelten Brette knieen.
Hausdieben wird der Galgen versprochen.
Wer in Briefe guckt, wenn sie auch offen daliegen, soll drei Tage hintereinander die Bastonade erhalten und als infam fortgejagt werden.
Wer nascht und Nase, Maul und Finger in allen Schüsseln hat, soll gezwungen werden, zur Vertreibung des Appetits heiße und brennende Speisen zu fressen.
Wer beim Tischgebet stockt, erhält sechs spanische Nasenstüber, wer ohne Kreuz abtritt, sechs italienische Nasenstüber.
Wer ohne Erlaubniß ausgeht oder gegen den Herrn murrt, hat nach Umständen Peitsche, Kette oder Pfahl zu erwarten u. dergl. m.
Was ist dagegen des Herrn Grafen Kuno Halm- Besedow's Verordnung mit seinem „allerunterthänigst guten Morgen!" aus unserer schwächlichen Zeit! O die gute, alte Zeit!
* Ludwig XV. fehlte es nicht an Witz und Scharfblick, wie seine Urtheile über Friedrich den Großen und den Minister Kaunitz beweisen. Ueber ersteren meinte er: „Er ist ein Mensch, der Alles an Alles setzen wird, und der, obgleich ohne Religion, ohne Sitten und Grundsätze, das Spiel gewinnen kann. Er will Lärmen machen und es wird ihm gelingen: Julian Apostata hat genug gemacht."
Jemand suchte den Fürsten Kaunitz wegen seiner Frisur lächerlich zu machen und wegen der vier Kammerdiener, die mit Blasebälgen den Puder herumstäubten, wovon Kaunitz im Laufen nur die feinsten Theile auffing. Der König sagte: „Es ist Alcibiades, der seinem Hunde den Schwanz abschneiden ließ, um den Athenern etwas zu sprechen zu geben und ihre Aufmerksamkeit von dem abzuziehen, was er ihnen verbergen wollte." Nach anderen Quellen soll die letztere Aeußerung von der Pompadour
* Auf der deutschen Bühne des Mittelalters wurden alle Frauenrollen von Männern resp. Knaben gespielt und dieser Brauch erhielt sich bis gegen das Ende des 17. Jahrhunderts, wenigstens muß es nach einer Stelle in Paul- lini's „Erbaulicher Lust", welche 1695 erschien, noch in diesem Jahre allgemeiner Gebrauch gewesen sein. „Bey solchen Schau-Spielen müssen Männer in Weibs-Kleidern sich vorstellen," sagt der hochwürdige Herr, „was dem HErrn ein Greuel ist."
Doch wissen wir, daß bereits 10 Jahre früher Schauspielerinnen in der Truppe des berühmten Magister Velthen zu Dresden auftraten und in der Oper ist es schon viel früher geschehen. Die Neuerung Velthen's erregte damals ungeheures Aufsehen und war für den Schauspielerstand zunächst von den unheilvollsten Folgen. Seine bis dahin ehrenvolle bürgerliche Stellung war mit einem Schlage vernichtet.
* Es ist merkwürdig, wie viel religiös-mystische Schwärmer gerade Schlesien erzeugt hat. Wir brauchen nur die Namen: Jacob Böhme, den Görlitzer Schuster, Angelus Silesius (Johann Scheffler), Christian Knorr von Rosen- roth als die bekanntesten einer ganzen Reihe zu nennen. Der interessantesten einer unter diesen Schwärmern ist Quirin Kuhlmann, der 1651 zu Breslau geboren wurde. Er hielt sich dazu auserkoren, eine neue Jesus
monarchie zu gründen, die er das „Kuhlmannsthum" nannte. Als deren hauptsächlichste Aufgabe stellte er auf, daß sich Christen und Juden in ihr zu einem einzigen Volk Gottes vereinigen sollten. Nach längerem Aufenthalte in Holland durchzog er predigend England und Frankreich und kann im Jahre 1678 nach Constantinopel, wo er den Sultan sogar zu dem Kuhlmannsthum bekehren wollte. Nur mit Noch der Gefahr, gespießt zu werden, entronnen, kehrte er auf weiten Umwegen nach Amsterdam zurück. Dann ging er, von steter Unruhe getrieben, nach Rußland; als er auch dort seine neue Religion vssen zu predigen begann, wurde er in Moskau auf Befehl des Patriarchen verhaftet und nach kurzem Prvceß am 4. Oktober 1689 lebendig verbrannt. Kuhlmann ist in unserer Literatur als Dichter geistlicher Lieder, namentlich des „Kühlspalters" bekannt.
Technisches.
Das Windgeschütz. Obwohl die hie und da in Europa vorgenommenen Probeschießen mit Dynamit-Granaten, das heißt mit Geschossen, die, statt mit Pulver, mit Dynamit geladen sind, nur negative Ergebnisse geliefert haben, wird das Kriegsamt in Washington nicht müde, es immer wieder mit dergleichen Geschossen zu versuchen. Der Grund für den Nichterfolg der Dynamit-Granaten liegt hauptsächlich in der zu plötzlichen Entladung des Pulvers, welches das Geschoß aus dem Rohr zu treiben hat. Der heftige Stoß, den die Granate dadurch erleidet, bringt die Granate schon im Laufe des Geschützes zur Explosion und gefährdet denselben, wie die Mannschaft in hohem Grade.
Man hat sich deshalb in Amerika der uralten Windbüchse wieder zugewendet, und das Ergebniß dieser Bestrebungen war das von Pratt erfundene Geschütz, welches eher an eine Gasleitung erinnert, wie an eine Kriegswaffe. Dasselbe hat eine Länge von 60 Fuß und eine Bohrung von 8 Zoll Durchmesser. Das Rohr ruht auf einer leichten, wagerecht drehbaren Laffette; den erforderlichen Richtwinkel erzielt man aber durch einen Kolben, der aus den Luftbehältern gespeist wird. Diese Behälter bilden überhaupt, in einem höheren Grade als das Geschoß, das Eigenartige an der neuen Kanone. Sie liegen unter dem Geschützrohre und enthalten Lust, die durch eine nicht sichtbare Maschine so stark zusammengepreßt wird, daß der Druck 1000 Pfund auf den Quadratzoll beträgt. Die in demselben enthaltene Preßluft reicht zu sechs Schüssen hin.
Soll nun das Geschütz abgefeuert werden, so wird, nach Einführung der Granate in das Rohr, durch Oeffnen eines Ventils plötzlich Preßluft in die Kammer eingelassen, und es fliegt unter dem Druck das mit 100 Pfund Dynamit gefüllte, 40 Zoll lange Geschoß angeblich an 3200 Meter weit. Die Granate explodirt in gewohnter Weise bei der Berührung mit einem festen Gegenstände. Sollte jedoch der Anprall die Explosion nicht herbeiführen, also die eigentliche Zündmasse versagen, so tritt eine in der Patrone angeordnete kleine Batterie dafür ein, die zu wirken beginnt, sobald die Granate das Wasser berührt.
Hieraus ergiebt es sich schon, daß der Erfinder es hauptsächlich auf feindliche Schiffe abgesehen hat, die so gefällig sind, in Schußweite einer mit Windgeschützen gespickten Strandbatterie zu gerathen. Auf Schiffen selbst ist die Pratt'sche Kanone wegen ihrer großen Länge kaum brauchbar, während sie ebenfalls von der Verwendung im Belagerungskriege ausgeschlossen ist. Zu jedem Geschütz oder wenigstens zu jeder Batterie gehört nämlich eine mit Dampf oder sonstwie zu betreibende, ziemlich umfangreiche Luftverdichtungs-Maschine, die heranzuschaffen und aufzustellen viel Mühe und Kosten verursachen dürfte. Auch würde sich die Maschine durch den Rauch verrathen und dem Feinde als Zielscheibe dienen. Endlich macht die ge-