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Allgemeine Rundschau.
Das Portrait. (Nach einem Gemälde von Eduard Knackfuß.) — „Claes van Oudewaerd, wir sollten unseren Junker Cornelis, unser einziges Kind, den Erben von Bomsche, Gertink und Oudewaar doch malen von Meister van Helft in Leyden drin," — sagte Mefrouw van Oudewaerd, die hochgeborne Gattin des wvhledelge- borenen Mynheer Claes van Oudewaerd, des reichsten Edelmannes im Haag.
Sie sagte das in ihrem prächtigen mit schweren Stoffen und kostbaren Thontellern und Steinkrugsorten ausstaffir- ten Paradezimmer auf ihrem schlummerstillen Sommerschlosse Oudewaar, welches von einem stillen, stehenden Wasser umgeben war.
Mynheer van Oudewaerd nahm aber seine Pfeife aus dem Munde, streckte die Beine mit den großen Bänderrosen von sich, schaute auf die wehenden Gebüsche des Gartens hinaus und sagte kopfschüttelnd: „Lena, ich meine wir lassen's bleiben, den Bengel abkonterfeien zu lassen für schweres Geld. Er ist nicht schön, nicht brav, nicht gescheidt. Ich sage, es ist hinansgeworfenes Geld. Wozu ihn in seinem jetzigen Alter verewigen lassen? Zu wessen Freude? Wer wird eine Freude haben, wenn er den Bengel auf einem Bilde sieht?" —
— „Ich, seine Mutter, werde meine Freude dran haben," — sagte Frau Lena.
— „Na, freilich, Du hast eine Affenliebe für den Jungen. Du wirst das Bild auf einen Altar stellen und anbeten!" — brummte der Vater widerwillig.
Und in der That war der Junker Cornelis von Oudewaerd, der sechszehnjährige Bengel, nicht werth, von der Hand eines Künstlers verewigt zu werden.
Er war vierschrötig und plump. Seine Hände und Füße waren viel zu groß, wie bei einem jungen Hunde. Seine Haltung plump. Sein Geist beschränkt und faul im Lernen. Sein Sinn roh und seine Manieren brutal. Er quälte Thiere und liebte nichts. Dabei erwuchsen in ihm schon häßliche Begierden, welche ihn vermochten, sich mit gemeinen Dirnen des Schlosses abzugeben. Seinem Hunde gab er Fußtritte, seinen Freunden Kopfstücke, den Lakaien Schimpfnamen, seinen Lehrern schnitt er ein Gesicht.
Niemand auf Erden mochte ihn leiden, den stolzen, hvchmüthigen, frechen und trägen Bengel, trotz des Reich- thums seiner Eltern, nur seine Mutter war blind für seine Fehler; für sie war er schön, gescheidt, liebenswerth, denn er war ihr noch immer das Kind, welches hilflos seine Händchen nach ihr ausgestreckt hatte.
Und da die Frauen immer ihren Willen durchzusetzen wissen — die sanften ebenso wie die zänkischen — so geschah es, daß Junker Cornelis beim Meister Helft in Leyden gemalt wurde, einem Verwandten des berühmten van Helft, und selbst ein geschickter Meister im Portrait- fache mit Hunden zu Füßen der Personen, einer Säule und einem Stück grünen Vorhangzeuges im Hintergründe.
Oft so wurde Junker Cornelis in der Staats- kntsche nach Leyden hineingeführt, und eines Tages stand sein Bildniß auf der Staffelei, mit seinem großen Lieblingshunde Tyras an der Seite und einer Säule und einem Stück grünen Vorhanges im Hintergründe, und der Maler sagte zu seinem Modell: „Ihr seid fertig, Junker Cornelis van Oudewaerd."
Der Bengel stand auf und näherte sich mit Gönnermiene dem Bilde, welches diesem „Künstler" da so theuer bezahlt werden mußte.
Der Bengel glotzte es mit kritischem Auge an. Zuerst die Maschen und Seidenbänder auf dem Wammse, ob die gut getroffen seien; dann sein Wamms selber, dann die Seidenstrümpfe, dann den Hund, dann sein Gesicht.
Und der Künstler stand dabei und schaute auf den vornehmen Burschen herab, der ihn während der Sitzungen
in jeder Art durch seinen Hvchmuth und seine Rohheit verletzt und gequält hatte.
Der Bengel sagte, während er sein Bild anglotzte:
— „Nicht übel. Man wird mich noch nach 300 Jahren bewundern auf dem Bilde da. Es hat aber auch schwere Goldstücke gekostet! Sv biu ich also jetzt für die Nachwelt aufbewahrt! Was wohl die zu mir sagen wird!" . .
Der Künstler schaute ihn mit einem sonderbaren Ausdruck an. „Was man von Euch sagen wird in 300 Jahren, Junker Cornelis?" — sagte er spöttisch, — „das kommt einfach darauf an, was der junge Bube auf dem Bilde da — denn er ist ja erst ein Bube — für ein Dasein verbringen wird. So ein Portrait ist eigentlich eine verwünschte Geschichte. Nehmt einen Bettler, einen armen Teufel, einen Strolch, einen Räuber, einen Dieb. Wer weiß etwas von ihm in hundert Jahren? Niemand. Ihre Laster und Missethaten, ihre Noth und ihre Gemeinheit verwehen mit ihrem Leben wie der Sand im Sturme. Wer weiß etwas von ihnen, und mögen sie noch so schlechte Kerle gewesen sein. Aber wenn von einem Jungen so ein Portrait gemacht wird, ein Kunstwerk, mit seinem Namen und Wappen in der Ecke, da frägt sich die Nachwelt: „Wie war er denn, der Bube? Was hat er erlebt, gethan, gesündigt oder geschaffen, verbrochen oder gewirkt?
— Und da sind geschwätzige Chroniken da, oder alte gelbe Briefe, oder „Denkwürdige Schriften" und erzählen den Leuten: „Er hat sich zu Tode gesoffen," oder „er hat sich mit wüsten Dirnen zu Tode gelebt." Er ist so unwissend und dumm gewesen, daß man ihn nicht einmal zu einem Amte erheben konnte. Er hat den Reichthum seiner Eltern vergeudet und ist auf dem Stroh gestorben. Er hat seine Unterthanen geschunden und ist von ihnen geprügelt worden. Und solche Sachen. Ich würde nie ein Portrait von mir malen lassen, das mich überlebt, wenn ich nicht gewiß wäre, ein ehrbares und braves Leben zu führen. Arme Jungen vergißt man; aber so ein Bild macht die Nachwelt neugierig . . ."
Der Bube war ganz ernst geworden. Seine Augen starrten fast erschreckt auf das Bild. Er war nicht mehr roth, sondern blaß wie ein Leilach.
Er ging ganz nachdenklich nach Hause.
Das Portrait verfolgte ihn. Wie unbequem war das Gefühl, portraitirt zu sein . . . von einem Künstler . . . zu leben für die Nachwelt . . . mit seinem Namen und Wappen daraus. . . Und daß die neugierigen Leute nach Hunderten von Jahren vor dem Portait fragen würden: „wie hat der junge Mensch später gelebt?" . . . Und daß Chroniken und vergilbte Briefe da sein würden, um Antwort zu geben . . .
Eine merkwürdige Umwandlung ging mit dem Junker Cornelis vor. Er soff nicht mehr mit den Knechten. Er hockte nicht mehr mit den Dirnen umher. Er gab den Knechten keine Ohrfeigen mehr. Er saß über Büchern und lernte, damit er doch nicht als Dummkops ausgeschrieen werde. Er lernte und wurde ein gebildeter Junge. Und er heirathete die liebe, hübsche, feine Cousine, die er früher nicht hatte leiden können.
Was hatte ihn so verändert? Was hatte den dummen, rohen Buben gesittet und brav und fleißig werden lassen?
Die — Eitelkeit.
Und das Geld für sein Portrait war in der That nicht „hinausgeworfen". Auch in diesem Falle hatte die Mutterliebe unbewußt ihren Liebling geschützt.
' E. M. Vaeano.
Misrellrn.
* Die Haus- und Hofordnung, wonach Se. Excellenz der Herr Statthalter von Hardenberg (1645—1682, ein Bor-