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A. Müller von Brandenburg.
Zimmer, die Thür hat ein Schlüsselloch und ich denke, Sie werden dort nicht nur vortrefflich hören, was hier vorgeht, sondern auch den richtigen Zeitpunkt erkennen, in welchem Sie hier eintreten müssen."
Strauß wollte noch etwas erwidern, aber Stürmer drängte ihn in das Zimmer und zog die Thür hinter ihm zu. Kaum war dies geschehen, als Conrad hereintrat, fast hätte man sagen mögen, hereinschlich, denn seine Kniee zitterten, seine Gesichtsfarbe war ungewöhnlich bleich, und man sah es ihm ans den ersten Blick an, daß er in hohem Grade erschöpft und abgespannt war. Der Polizeirath sprang auf, eilte dem Ankommenden entgegen, ergriff seine beiden Hände und rief, scheinbar sehr erfreut: „Da sind Sie ja endlich, Verehrtester Herr- Präsident, und ich beeile mich, Ihnen die aufrichtigsten Glückwünsche und meine vollste Bewunderung auszusprechen."
Conrad warf sich erschöpft ans einen Stuhl und athmete tief auf.
„Es ist vorbei," sagte er, „und ich bin froh darüber." Und nun erzählte er ihm, wie er auf die Tribüne gekommen, wie er ohne einen Laut des Beifalls zu hören seine Rede begonnen, lvie sich dann erst eine gewisse Mißstimmung unter den Versammelten kundgegeben, dann aber mehr und mehr beifälliges Murmeln seine Worte begleitet habe.
Stürmer hörte aufmerksam zu und ermangelte nicht, dem Redenden von Zeit zu Zeit seine Bewunderung auszudrücken und diese und jene Bemerkung zu machen.
„Endlich hatte ich gewonnenes Spiel," schloß der Kreispräsidcnt, „ich bemerkte, wie in der dichtgedrängten Menge manches mir von früher her bekannte Gesicht ein zufriedenes Lächeln zeigte, ich hörte, wie man laut und lauter seinen Beifall über meine Worte äußerte, und das that mir wohl, aber noch angenehmer berührte es mich, daß es in meiner Heimath war, wo meine Anschauungen und meine Rede so günstig ausgenommen wurden, und da kam es wie ein süßes Heimweh über mich. Ich weiß nicht, was ich alles gesprochen habe, aber jeder Satz zündete, und meine Stimme bebte, mein Herz schlug; ich werde diese Stunde nie vergessen."
„Sie haben dem Ministerium nicht allein eine Stimme für die Kammer, Sie haben ihm heute einen Sieg errungen, mit dem es zuerst Wurzeln schlägt im Lande," rief Stürmer.
„Aber ich habe Gegencandidaten," warf Conrad ein, „glauben Sie wirklich, daß man mich wählen wird?"
Stürmer schwieg einen Augenblick.
„In der Politik," begann er dann, „darf man sich niemals Illusionen machen. Aber ich halte
die Chancen für außerordentlich günstig für Sie, wenn wir mit der nöthigen Vorsicht, Sorgfalt und vor allen Dingen mit der erforderlichen Energie zu Werke gehen."
Der Kreispräsident sah den Polizeirath fragend an. Er kannte diesen Mann hinlänglich, um klar darüber zu sein, daß er mit diesen Worten einen besonderen Zweck verband, den er nicht sogleich zu errathen vermochte, und deshalb forderte er ihn aus, ohne Umschweife zu reden.
„Gut denn," erwiderte Stürmer, „so will ich unverblümt sagen, was ich denke. Sie sind hier als ministerieller Candidat aufgetreten, dürfen also dem Ministerium keine Niederlage bereiten, wenn Sie sich nicht für alle Zeit geradezu unmöglich machen wollen. Beherzigen Sie es also wohl: Sie müssen siegen, sei es um welchen Preis es wolle, und es giebt nur ein Mittel, Ihre Wahl durch- znsetzen — und dies Mittel habe ich in meiner Hand."
Conrad sah ihn fragend an. Stürmers Gesicht war unbeweglich.
„Und dieses Mittel?"
„Der Gegencandidat muß unschädlich gemacht werden."
„Auf welche Weise?"
„Ich habe die Sache schon vorgesehen."
Mit diesen Worten zog Stürmer ein Blatt ans der Brnsttasche seines Rockes lind hielt es dem Kreispräsidenten hin. Dieser warf einen Blick daraus, und erbleichend machte er mit der Hand eine abwehrende Bewegung. Aber Stürmer ließ sich dadurch nicht aus der Fassung bringen.
„Vertrauen Sie nur meiner Geschicklichkeit, Sie sollen in keiner Weise compromittirt werden, und ich nehme jede Verantwortung aus mich."
Der Kreispräsident zögerte mit der Antwort, Stürmer faltete das Blatt wieder zusammen und steckte es in seine Tasche.
„Wann befehlen Sie den Wagen zur Rückreise?" fragte er kalt. „Wenn wir eilen, sind wir noch rechtzeitig zum Knrirzuge auf dem Bahnhofe."
„Rückreise? Jetzt?"
„Ich meinte nur, Sie würden doch wenigstens Ihrer Niederlage ausweichen wollen und der Regierung Ihre Gründe mitzutheilen wünschen, weswegen Sie den sicheren Sieg von sich stießen. Man wird freilich über Ihre Sentimentalität die Achseln zucken, wird bedauern, daß Sie in der Kammer fehlen, wo man Ihrer dringend bedarf, man wird Ihnen diesen Schritt vielleicht übel deuten und sich des Barons Alden erinnern, der wahrscheinlich als Präsident weniger gefühlvoll gewesen wäre, und am meisten wird vielleicht das gnädige Fräulein von Hohenberg darunter leiden, da Excellenz ihre Vermahlung mit Ihnen ausdrücklich davon