Vr. Ludwig Fuld.
standen sie in dieser Beziehung hinter denjenigen des Morgenlandes zurück. Die Phantasie ist nicht im Stande, sich die Qualen ausznmalen, welche der orientalische Despotismus, in dem sich, wie stets, Wollust und Grausamkeit paarten, zur Bestrafung der Verbrechen erdachte und hierin zeigt sich nicht zuletzt, wie sehr die orientalische Cnltur hinter der occidentalischen znrücksteht. Es ist charakteristisch und fiir den Zusammenhang zwischen Cnltur und Strafrecht äußerst wichtig, daß die orientalischen Strafrechte besonders ausgesuchte Strafen fiir den weiblichen Verbrecher kannten; während die occidentalischen doch immer einigermaßen Rücksicht ans die weibliche Schamhaftigkeit nahmen, findet sich in jenen keine Spur hiervon und der Bund zwischen Wollust und Grausamkeit könnte durch die Erfahrungen nicht drastischer bewahrheitet werden als durch diese Strafrechte. Beispiele zur Bestätigung dieser Behauptung anzuführen, verbietet die Rücksicht ans unseren Leserkreis. Freilich ist auch in Deutschland in dieser Beziehung sehr viel gesündigt worden und die Unwahrheit, mit welcher die Romantiker die Herrlichkeit des Mittelalters schildern, könnte nicht besser illustrirt werden, als durch die Rücksichtslosigkeit der damaligen Justiz gegen die weibliche Ehre.
Durch die Auswahl der Verbrechen läßt das Strafrecht einen tiefen Blick in die wirthschaftliche Cnltur thun. In den ältesten Strafrechten finden sich meistens strafbare Verletzungen des Lebens und der Gesundheit, grobe Angriffe des Vermögens mit Strafe bedroht. Manns Gesetzbuch und die Bolks- rechte der Deutschen, das Alte Testament und das nordische Recht richten ihr Hauptaugenmerk auf Schutz des Lebens und der Gesundheit. Der Culturhistoriker muß daraus schließen, daß der Vermögensverkehr jener Zeiten noch ziemlich unentwickelt war, weil die Verletzungen desselben die Aufmerksamkeit des Gesetzgebers in so geringem Maße beanspruchten. Im Gegensätze hierzu wird der Historiker der Zukunft ans unseren Strafgesetzen folgern, daß der Vermögensverkehr eine hohe Entwicklung aufwies, weil sich der Gesetzgeber mit seinen Verletzungen in hervorragendem Umfange befaßte.
Das Strafrecht zeigt aber auch dadurch seinen Zusammenhang mit der Cnltur, daß sein Umfang je nach der Culturstufe verschieden ist; fortgeschrittene Völker Pflegen die Ahndung gewisser Dinge mehr der Sitte und öffentlichen Meinung, als dem Strafrichter zu überlassen und so kommt es, daß Handlungen, welche früher den schmerzhaftesten Tod nach sich zogen und bei zurückgebliebenen Völkern auch heute noch sehr strenge bestraft werden, in civilisirten Staaten entweder gar keinen Platz mehr im Strafrechte haben oder doch mit geringer Strafe
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bedroht sind. Welche Wandlungen hat in dieser Beziehung die Verletzung der ehelichen Treue erfahren! Von dem Rechte des asiatischen Stammes, welches das sündige Weib lebendig zu sieden befiehlt, bis zu dem Rechte unserer Vorfahren, das die untreue Gattin schimpflich aus der Gemeinde ausstieß, welch' ein Schritt, und zwischen diesem Standpunkte und demjenigen der modernen Zeit welche Entfernung! Wie prägt sich in diesen verschiedenen Strafen die cnlturelle Entwicklung jeder Zeit deutlich aus! Nach spanischem Rechte werden Frauen, die ihren Gatten ungehorsam sind, und Gatten, welche ihre Frauen mißhandeln, mit Hast bestraft, zänkische Eheleute werden zuerst polizeilich verwarnt und sodann gleichfalls bestraft. Sind diese Vorschriften nicht bezeichnend für die Cnltur der Hidalgos und steht nicht die Thatsache, daß sie den Deutschen, Franzosen und Engländern unbekannt sind, mit der Cnltur dieser Völker in Zusammenhang! Nach chinesischem Rechte trifft den Ungehorsam gegen Eltern die schrecklichste Strafe, nach den Rechten Europas ist diese Handlung keine strafbare. Jene wie diese Thatsache entspricht der beiderseitigen Cnltur und wenn der Koran die Schöne, welche ans ihn schwört, mit Strafe bedroht, sofern sie einem Sterblichen außer ihrem polygamischen Ehemann ihr Antlitz enthüllt, so ist dies eine Consequenz der sittlichen und religiösen Cnltur des Islam so gut wie die Bestrafung des Kindesmordes bei den civilisirten Völkern und die Straflosigkeit desselben in China ein Resultat der betreffenden Cnltur darstellt. In plastischer Anschaulichkeit bringen diese Vorschriften die für die betreffende Gemeinschaft maßgebenden Anschauungen zum Ausdruck. Große Ueberbevölkerung, verbreiteter Pauperismus, ungenügende Würdigung des kindlichen Lebens vom Standpunkte der Ethik, das sind die Gedanken, zu welche» die chinesische Eigen- thümlichkeit Anlaß giebt, während die strenge Bestrafung der That bei den civilisirten Nationen die Jdeenverbindung anregt, daß die Vorschrift des Sittengebotes, „Du sollst nicht tödten, heilig sei Dir das Leben", von dem Rechte in einem Grade ausgenommen wurde, um alle übrigen Rücksichten zurücktreten zu lassen.
Die Aufdeckung der Gründe, die für die Entstehung einer Strafvorschrist bestimmend sind, ist eine der interessantesten Aufgaben der Cultur- geschichte und Völkerpsychologie; sie läßt die schassende Thütigkeit der Volksseele beobachten. Sie ist freilich in vielen Fällen, besonders wenn es sich mn längst vergangene Zeiten oder solche Völker handelt, deren Lebensverhältnisse uns unbekannt sind, nicht möglich. Daher der uns seltsam Und häufig unbegreiflich erscheinende Charakter vieler Strassatzungen. Wären uns ihre