Helene Pichler.
^W^,r wanderte im glühenden Mittagssonnenschein durch die Dünen, und es hatte einen Zweck, daß er zu so ungewöhnlicher Zeit so ungewöhnlichen Weg ging. Zu dieser Zeit war es einsam am Meeresgestade, und er war ein Dichter und liebte die Einsamkeit, besonders die Einsamkeit des Meeres. Nirgends ist es einsamer, als am Strande des Weltmeeres zur Mittagszeit im Hochsommer. Dann ruhen nicht nur die Menschen, sondern auch die Thierwelt scheint eine Pause zu halten, in welcher ihr Leben schläft, und die Pflanzen nicken ebenfalls traumbefangen, solange die Sonne im Zenith steht. Nur das Meer schläft nicht; das Wasser ist das ewig Lebendige und ruht niemals.
Er ging jeden Tag denselben Weg, und ans denselben Platz legte er sich nieder. Ein Felsstück ihm zu Häupter:, welches schattenspendend akkzugroße Gluth pon seinem Gehirn fernhielt und zu seinen Füßen der feuchte Sand, an dem die Wellen stoß- weiße hinanfleckten. So lag er jeden Tag und glaubte Gedanken zu sammeln. Der Thor! Gedanken werden nur in: engen Stübchen geboren, sie gedeihen weder in: Weltgetümmel, noch in der Wel- tenstille. Er träumte. Seine Phantasie spann seltsame Gewebe voll goldener Blumen und wirkte uralte Sprüche der Weisheit und Wahrheit hinein; die hielt er dann für seine eigenen Gedanken. Das war eine Selbsttäuschung, aber er war glücklich dabei, und — er war Dichter, so ließ sich das begreifen. Und es war auch gut so; denn würde es ohne Selbsttäuschung und Phantasie einen Dichter geben?
Täglich um die Mittagsstunde ging auch die braune Fischerdirne den Strand entlang; das war das einzige Lebewesen außer ihm. Aber sie gehörte nicht zu den Menschen draußen in der Welt, sondern fügte sich als nothwendiger Theil der großen Landschafts-Einsamkeit ein. Ja, dem Dichter wollte es bedünken, der sandige, klippenbesäete Strand würde minder ergreifend melancholisch sich dahinstrecken, wenn ihre nackten Füße ihn nicht berührt hätten, und minder geheimnißvoll lockend würden die dunk
len Wogen rauschen, wenn ihre stillen, glänzenden Augen fehlten. Sie trug die Röcke um die Hüften hochgeschürzt, daß lüsterne Wellen den Saum nicht streifen konnten und über die Schulter gelehnt trug sie Ruder oder auch Netzwerk und solchen Kram, den inan beim Fischfang benutzt.
Er sah sie gerne kommen. Er weidete sein Auge an der stillen festgefügten Gestalt. Sie sah nicht aus, als ob ein mäßiger Sturm sie beben machen könnte. Er grüßte sie und sah mit Entzücken die liebliche Beugung des Nackens. Er grüßte sie noch oft und sah ihr in die stillen, großen Angen. Nur einen Moment; aber der genügte, um auf ihren braunen Wangen tiefes Roth hervorzuzaubern. Sie wußte, daß sie roth geworden war, dennoch kau: sie jeden Tag denselben Weg — eine Fischerdirne hat doch auch ein Herz.
Heute hatte er sie geküßt. Nicht plötzlich war es über ihn gekommen, er nahm den Kuß, der an ihren Lippen hing, wie ein Knabe sich endlich den Apfel holt, der schon lange aus dunklem Laube gelockt hat. Er war stehen geblieben, hatte sie nach Diesen: und Jenen: gefragt. Fragen ohne jede Bedeutung, denn er wollte ja nur eine Antwort haben, um die schwellenden Lippen sich öffnen zu sehen; Antworten ohne jede Bedeutung gab sie; denn sie wußte nicht, um was er gefragt hatte; sie war glücklich, seine Stimme zu hören. Er hatte in die großen, traurigen Augen geblickt, die ihm tiefer schienen denn das Meer, und die nun Heller aufleuchteten, als die Sonnenreflexe auf der blauen Fluth. Dann hatte er sie geküßt.
Die Fischerdirne hatte gebebt von: Kopfe bis zu den nackten Füßen, über welche das steigende Hochwasser feuchte Schleier warf. Ein schwerer Seufzer hatte die Brust unter den: groben Wollentuche gehoben. Dann riß sie sich los, warf das Netzwerk über die linke Schulter und ging schneller, als ihre Gewohnheit sonst war, die sandigen Wege in's Dorf hinab.
Eine Möve hatte über ihren Häupten geschrieen und gelacht, war dann seewärts geflogen und, nach-