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Hanns von Hpielderg.
die, welche je gegen Excellenz Maybach und unsere deutschen Bahneinrichtungen gesrevelt haben, gleich uns 14 Stunden lang in jenem Marterkasten, bei dessen Anblick selbst eins unserer heimischen Coupöe's dritter Güte über diese Verwandtschaft schamroth geworden wäre, gesessen hätten. Die Sonne brannte bald fürchterlich auf den zerrissenen Ledersitzen und durch die schlechtschließenden Fenster drang unablässig der feine Staub, den die Räder auf dem Schienenstrang in ihrem rastlosen Flug aufwirbelten. Es war kein sehr rosiger Beginn unserer Reise und selbst das Diner, das uns Hassan, der Dragoman, vorsichtiger Weise in Abn-Djirdjets telegraphisch bestellt hatte, war nicht verlockend. Wir freuten uns herzlich, als kurz vor Sonnenuntergang Siut auftauchte, und der Zug endlich in den ziemlich primitiven Bahnhof eiurollte, glücklicherweise so pünktlich, das wir den Anschluß an den Postdampfer, der um 9 Uhr nach Luxor weiterging, noch erreichten.
Der Tag war anstrengend genug gewesen, aber das wußte ich schon jetzt, Miß Sampson hatte Recht gehabt, als sie mir sagte: „Sie werden an mir
keine allzu schwerfällige Reisegefährtin finden." In dem zarten Körper mußte eine eiserne Energie wohnen, nicht ein Wort der Klage war über ihre Lippen gekommen und am Abend schien sie am Theetisch im Salon des Dampfers noch ebenso frisch, als am Morgen auf dem Bahnhof von Kairo. Dabei waren uns, oder richtiger und bescheidener, mir wenigstens die Stunden wie im Fluge verstrichen. Miß Sampson verfügte über eine mehr als gewöhnliche Bildung und besaß vor Allem, was unseren „höheren Töchtern" ja meist abgeht, einen zum selbstständigen Denken entwickelten Verstand. Wir hatten aus dein Hundertsten in's Tausendste geplaudert und jeder neuen Wendung des Gesprächs brachte sie neues Interesse entgegen, ja gab ihr belebende Anregung; bisweilen freilich schien mir ihr Urtheil etwas scharf, ihre Pointen allzu zngespitzt und nicht selten lag in ihren Worten eine Ironie, die ich mit dem sanften Schimmer ihrer Augen gar nicht recht in Einklang bringen konnte. Ich nahm keinen Anstand, ihr dies gelegentlich zu sagen. Sie sah mich groß an und entgegnete ruhig: „Memeu Sie? Vielleicht haben Sie Recht: Es ist das Leben, das mich bitterer gemacht hat, als gut ist."
Was konnte das Leben diesem liebenswürdigen, schönen und augenscheinlich mit allen irdischen Glücksgütern ausgestatteten Wesen angethan haben?
Langsam schleppte sich der Dampfer aus seiner Bergfahrt stromauf an den von Palmenhainen umfriedeten Fellahdörfern, den einförmigen Maisfeldern und Znckerplantagen vorüber — von der ersten Morgenstunde an bot sich uns lange Zeit fast stets das gleiche Bild. Aus den zahllosen Sandbänken
paradirten in gutausgerichteten Compagniefronten Tausende und Abertausende von rvsenfarbenen Fla- mingo's, am User suchten stelzbeinige blaue Reiher im Rohrschlamm ihr leckeres Morgenmahl, ab und zu sahen wir auch einige Fellnhfraueu, mächtige dickbäuchige Wasserkrüge auf dem Kopf balancirend, zum Nil herabsteigen oder begegneten einem großen Segelboot, das hoch mit Mais beladen nach Kairo Hinabtrieb. Auch am zweiten Tage änderte sich die Scenerie wenig — von Weitem nur sehen wir die Niesenmauern des Osiristempels im alten Abydvs und das Ruinenfeld von Dendera und, offen gestanden, unsere Gedanken waren auch wohl zu sehr anderweitig beschäftigt, um uns die eigenartigen Eindrücke einer solchen Nilsahrt mit vollem, offenem Herzen anfnehmen zu lassen. Miß Eleonore saß stundenlang wortlos unter dem Sonnendach auf Deck und blickte unverwandt in die trüben Finthen, und ich hatte mir, nachdem ich bemerkt zu haben glaubte, daß sie nicht gestört sein nuckle, eine Hänge matte auf dem Hinterdeck anbringen lassen und träumte in derselben abwechselnd vom Mahdi und von blutigen Schlachten, von Sir Wolseley und meinem Chefredakteur mit seinem vernichtenden Roth- stift und, daß ich's nicht verschweige, von der kleinen Villa in Köln, die eine gewisse junge Dame be herbergte, welche, ohne daß ich es ihr je gestanden hätte, meinem Herzen sehr nahe stand. Von dem Herzklopfen, das die erste Begegnung mit Miß Sampson iu mir erweckt, war ich gründlich curirt — sie war mir ein Gegenstand zu ernster Verehrung geworden, als daß ich wagen sollte, sie zu lieben: Du konntest ganz ruhig sein, Else, es Waltrop der Schönheit Deiner Cousine eine ganz ungefährliche Sache mit unserer gemeinsamen Nilsahrt. Am späten Nachmittag gesellten wir »ns meist zn einander, wie Miß Sampson selbst mit ihrem eigenartigen Lächeln sagte: „Da nur uns nun wohl genug ausgeschwiegen Hütten." Ich werde dieser Stunden nie vergessen, denn sie erwarben mir das Vertrauen eines edelempsindenden Herzens und mehr als das, schließlich eine hoffentlich ewig dauernde Freund^ schaft, wie sie schöner und reiner nicht gedacht werden kann.
Die Fahrt bis Assuan ging glatt und anstandslos von Statten, erst hier am Endpunkt der durch den ersten Nilkatarakt begrenzten regelmäßigen Postdampfschifffahrt begannen die Schwierigkeiten, hier trafen wir auch auf die ersten Anzeichen, daß wir uns auf der großen Naclffchubstraße des Expeditionsheeres befanden: In Selsele und Assuan waren umfangreiche Depots und Magazine angelegt und das palmenbeschattete Tempeleiland Elefantine mit seinen Säulenhallen, Pylonen und Massivsronten schien sich in eine Gesundheitsstation verwandelt zu haben, denn wir sahen vom Ufer aus allerlei mili-