Heft 
(1.1.2019) 09
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Gefunden ain Nil.

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tärische Gestalten in sehr leichtem Costüm aus den Trümmern lustwandeln und selbst einige Zelte blink­ten aus dem grünen Gebüsch weißschimmernd Her­tiber. Nattirlich erkundigten wir uns sofort, ob sich vielleicht ein Mister Alfred Sampson auf der Insel befände, aber es war überhaupt nicht ein Offizier unter den Herren, sondern es waren nur Militär­beamte,Mehlwürmer", sagten wir anno 1870, die sich im Schatten des ehrwürdigen Jristempels erholten.

Was nun die Schwierigkeiten des Weiterkommens anbetras, so wurden schließlich Dank der freundlichen Unterstützung des deutschen Consularagenten, des trefflichen Herrn Todrus, und der erprobten Findig­keit unseres Dragomans auch sie überwunden: Unter­halb des Kataraktes, der eigentlich diesen Namen gar nicht verdient, sondern nur eine Vereinigung einzelner Strvmschnellen ist, trieben Beide für uns ein leidlich comfortableDahabiye" ein Segel­boot mit Kajüten nämlich auf, dessen Besitzer sich gegen ein allerdings enormes Honorar bereit finden ließ, uns bis Wadi-Halfa zu befördern. Mister Hassan, der Dragoman, sorgte noch für eine Verstärkung unseres von Kairo mitgenommenen Proviants, ich selbst erstand mir in einem Bazar von Assuan einen mächtigen türkischen Säbel, der, als ich zum ersten Mal mit ihm bewaffnet erschien, meiner Reisegefährtin ein stilles Lächeln ablockte, dann konnte die Fahrt beginnen.

War die Bergfahrt mit dem Dampfer langsam gewesen, so kroch die Dahabiye wie eine Schnecke und kein Goldsporn konnte den braunen Kapitän zu einer Beschleunigung bewegen. Unsere Ungeduld aber wuchs von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde. Miß Eleonore schien mir oft fieberhaft erregt, sie sprach dann äußerst lebhaft über alle möglichen Themen, als ob sie dadurch ihre Gedanken ablenken wollte. Auch Else wurde jetzt häufig von ihr er­wähnt, sie erzählte mir, wie sie Beide sich vor drei Fahren, als sie die Kölner Verwandten besuchte, kennen und lieben gelernt Hütten und sie schwärmte sogar ein wenig von ihrer kleinen deutschen Cousine was mir natürlich, um vulgairer zu sprechen als der Gegenstand eigentlich gestattet,sehr glatt herunterging". Von ihrem Bruder sprach sie un­aufgefordert nie; ich fand dies ganz natürlich und bemühte mich auch meinerseits, das schmerzliche Thema nicht zu berühren: Wußte sie doch nicht einmal, ob sie ihn lebend Wiedersehen würde.

Am dritten Tage nach Assuan begegneten wir einem jener kleinen Stahldampfer, die den officiellen Verkehr zwischen Wadi-Halfa und dem ersten Kata­rakt vermittelten. Der Capitain rief uns an und drehte, als wir unsere Namen und den Zweck un­serer Reise genannt hatten, bei; es befanden sich einige Offiziere an Bord, die krankheitshalber den

Kriegsschauplatz verlassen mußten, und das Glück wollte, daß wir von einem derselben eine wenn auch zweifelhafte Auskunft über Eleonorens Bruder er­hielten: Er theilte uns nämlich mit, daß in Ko- rosko ein Capitain des 6. Linien-Jnsanterie-Regi- rnents schwer verwundet und nicht evacuationsfähig liege, den Namen wußte er nicht bestimmt, meinte aber, der Betreffendekönne wohl" Sampson heißen. Es war merkwürdig, wie diese Nachricht meine Reisegefährtin ergriff: ich hätte gemeint, die Kunde, daß ihr Bruder wahrscheinlich so nah und vor Allem, daß er noch lebe, hätte sie erfreuen müssen, aber ich sah mit Staunen, wie sie erst tief erröthete und dann, beide Hände vor das Gesicht schlagend, wortlos der Kajüte znwankte, um sie während des ganzen Tages nicht mehr zu verlassen.

Erst spät am Abend kam sie wieder an's Deck. Ich lag vorn am Bug der Dahabiye und lauschte dem leisen Plätschern des Wassers, sie nahm neben mir Platz und saß eine ganze Weile still und starr, ja, als ich endlich versuchte ein Gespräch anzuknüpfen, gab sie nur ein einsilbiges Ja oder Nein zur Ant­wort. Dann aber legte sie plötzlich ihre Hand aus meiuen Arm und sagte leise:Ich habe mit Ihnen zu sprechen, mein Freund."

Der Ton ihrer Stimme klang so verändert, daß ich fast erschrocken auffuhr, erst jetzt bemerkte ich, daß sie blaß wie der Tod war, jeder Bluts­tropfen schien aus ihrem Gesicht gewichen und um den Mund lag ein tiefschmerzlicher Zug, der von schweren Seelenkämpfen erzählte. So hatte ich Eleonore noch nie gesehen; ich wollte etwas er­widern, aber sie ließ mich nicht dazu kommen.

Ich habe mit Ihnen zu sprechen," wiederholte sie und die Worte glitten nur schwer und wider­strebend über ihre Lippen.Ich muß Ihnen sagen, daß ich Sie belogen und betrogen habe: Es ist nicht mein Bruder, dessen Krankenlager ich anfzusuchen kam." Kaum war es heraus, so barg sie schluchzend die Hände in das Gesicht und schwere Thrünen perlten, im Mondenlicht wie Thautropfen funkelnd, zwischen den feinen, zarten Fingern.

Ich war allerdings erstaunt und erschrocken. Diese Eröffnung hatte ich nicht erwartet. Aber der Schmerz des jungen, schönen Mädchens, das ich in den letzten Tagen so lieb gewonnen hatte, wie eine .eigene Schwester, griff mir zugleich gewaltig in's Herz. Ich wußte, in ihrer Seele konnte kein niederer, kein schlechter Gedanke leben. Leise zog ich ihre Hand von dem thränenüberströmten Gesicht und küßte sie:Und wenn dein nicht so ist, Eleo­nore, so bin ich sicher, das; nur ein edler Herzens­drang Sie hierher führte. Kein Wort mehr dar­über. Es genügt nur, daß Sie irgend Jemand, den Sie lieb haben, suchen und einen Unwürdigen kann Eleonore Sampson nicht lieben."