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Hanns von Spielberg.
„Nein, ein Unwürdiger ist er nicht, aber ein Unglücklicher — unglücklich durch mich!" ent- gegnete sie fast heftig. „O, ich kann mir denken, wie die Erinnerung an mich ihn in die Gefahr gejagt hat, wie er sterben walkte, weil er mich liebte und sich verschmäht wähnte und ich, ich liebte ihn dach so heiß, so treu, sa rein, wie nur ein Frauenherz lieben kann! Sie werden mich mißachten, mein Freund, wenn ich Ihnen erzähle, wie Alles kam, Sie werden mich egoistisch, kaltherzig, tharicht schelten, ich muß es ans mich nehmen, denn alle diese Varwürfe sind nur zu gerecht."
„Beruhigen Sie sich, Eleonore," bat ich. „Später mögen Sie mir Alles sagen und Sie fühlen hoffentlich, daß Sie an mir trotz der Kürze unserer Bekanntschaft einen Freund haben, der, was sie ihn: auch beichten, mit warmem, empfindendem Herzen aufnehmen wird."
Sie stützte ihr Haupt nachdenklich in die Rechte. „Nein," begann sie endlich aufs Nene, „ich null Ihnen heute schon mein ganzes wehes Herz ansschütten, heute schon, bringt mir Morgen doch vielleicht bereits das Wiedersehen mit ihm! Ihnen bin ich vorher die volle Wahrheit schuldig und mich selbst wird meine Beichte erleichtern. Horen Sie also:
„Fredh — Alfred Sampson — und ich sind zusammen ausgewachsen. Mein Vater hatte den ohne Mittel zurückgebliebenen Sohn seines einzigen Bruders schon zu sich genommen, ehe ich geboren wurde; er galt völlig als Kind unseres Hauses, wir Hütten gemeinsame Lehrer, gemeinsame Freuden und Leiden und die wenigen Jahre, die er älter war als ich, spielteil um so weniger eine Rolle, als ich, vielleicht gerade allgespornt durch den steten Umgang mit dem älteren Knaben, mich sehr schnell entwickelt haben soll. Wir waren wie Geschwister und gute Kameraden zugleich — nicht, daß wir uns immer vortrefflich vertragen hätten, im Gegen- theil, wir zankten uns häufig genug, ganz wie Kinder es thnn, wenn sie sich recht lieb haben und ans Regen folgte auch bei uns stets Sonnenschein. Dann kam Fredy in's College, ich blieb daheim, wir sahen uns seltener, und als ich endlich auf einige Jahre in eine Schweizer Pension geschickt wurde, blieben wir ganz auf den brieflichen Verkehr beschränkt, der aber war, wie es bei halberwachsenen Kindern ja fast stets der Fall ist, nicht allzu lebendig. Als wir uns nach einigen Jahren im elterlichen Hanse wiedertrasen, er als Offizier im ersten Stolz aus seine Uniform, ich als junge Dame, die soeben die Backfischkleider abgelegt hatte, kamen wir uns fast fremd vor trotz unserer gegenseitigen aufrichtigen Freude: Das »Schwesterchen« wollte nicht mehr recht über seine Lippen, und als er mir einen Kuß gab, glaube ich, wurde
ich roth und eilte aus der Stube. Aber das waren nur die ersten Eindrücke des Wiedersehens und sie verwischten sich schnell, wir wurden bald wieder vertrant, wenn sich das geschwisterliche Verhältnis) auch nicht ganz wiederfand. Papa schien das ganz recht; er lächelte oft still, wenn Fredy mich seriens als Cvusinchen titnlirte und mir die Cour machte, oder wenn ich den Vetter mit einein Auslug unschuldiger Coquetterie behandelte; ich selbst dachte mir nichts Ernstes dabei und ich erinnere mich noch deutlich, wie heftig ich erschrak, als ich einst — zum ersten Male — Fredy's Angen in einem Moment, da er sich unbeobachtet glauben mochte, mit einem heißen Ausdruck ans mir ruhen fühlte, den ich nie bemerkt hatte und dessen Bedeutung ich wohl ahneil konnte, aber nicht verstand. Ich weiß, wie ich an jenem Abende in das Schlafzimmer meiner Mama flüchtete und mich an ihre Brust warf, um mich ansznweineu. Als sie mich fragte, was mir fehle, tonnte ich kr in Wort erwiedern, aber sie mochte ahnen, was in mir vorging, sie streichelte mir lächelnd die glühenden Wangen und schickte mich mit einem herzlicheil Kuß zu Bett.
Nicht lange daraus brach das Unglück über unser Haus herein. Meine Mutter starb plötzlich und meinen Vater warf die Erschütterung ans das Krankenbett, voll dem er sich nicht wieder erheben sollte. An seinem Sterbelager kniete Fredy neben mir und Papa legte unsere Hände ineinander und sagte mit verlöschender Stimme zu ihm: »Elly hat nun Niemand »lehr als Dich, mein Sohn — habt Euch lieb, Kinder, und seid glücklich! Glücklich,« wiederholte er noch einmal und sah mich mit einein Blick voll unendlicher Liebe an — dann war Alles, Altes zu Ende, das beste Vaterherz hatte aufgehört zu schlagen.
Ich habe oft darüber uachgedncht, wie wohl Alles gekommen wäre, wenn Fredy mich in jenen Tageil des tiefsteil Schmerzes als Braut an seine Brust gezogen und mir gesagt hätte: »Elly, laß uns des Vaters Worte wahr machen«. Die Welt würde das natürlich sehr unpassend gefunden haben und doch hätte es zu unserer eigeneil Stimmung am besteil gepaßt, er hätte den Herzenswunsch der dahingeschiedenen Eltern erfüllt — viel, viel Unglück wäre dadurch vermieden worden. Aber wir müssen uns ja nun einmal der Form beugen und sie ist gewiß für die Allgemeinheit eine Nothwendig- keit, auch wenn sie den Einzelnen schwer trifft.
Die ersteil Wochen nach des Vaters Tode brachten uns jene peinlicheil Auseinandersetzungen, die ein tiefempfindendes Kindesherz zur Verzweiflung treiben können: die Erbschastsregelnng. Mit Staunen erfuhr ich, daß ich Universalerbin sei, daß Fredy nur ein verhältnißmüßig nicht bedeutendes Legat ausgesetzt erhalten hatte. Mein braver Vormund