394
Hanns von Sxielberg.
Von Ufer zu Ufer, oft schien die Entfernung zu wachseir, anstatt abzunehmen. Aber ans dem Flnß verrieth sich doch schon die Nähe der englischen Truppenstation; die Boote wurden zahlreicher, die Einwohner der benachbarten Dörfer mochten wohl in Korosko eineir guten Markt für ihre Bodenprodukte finden. Endlich schoß auch eine schlanke Gig vorüber von kräftigen Blaujacken gerudert, die beim Anblick unserer Flagge in ein lautes „Hipp- Hipp! Hnrrah!" ausbrachen und sich trotz der fürchterlichen Hitze unter ihren Korkhelmen ganz wohl zu befinden schienen.
Plötzlich zeigt sich zur Rechten bei einer nenen Wendling des Stromes eine langgedehnte Reihe weißer Zelte — ich sah aus hohem Mast vor dem mittelsten derselben unterhalb der britischeil Flagge die Fahne des rothen Kreuzes, führte Elenore still in ihre Cajiite hinab und bat sie herzlich, vorläufig an Bord zu bleiben. Sie flüsterte ein leises „Ja" und drückte mir krampfhaft die Rechte.
Zehn Minuten später legte die Dahabyie all einem kleinen improvisirten Hafen unterhalb der Lazarethzelte an. Das Erscheinen unseres Fahrzeugs mochte schoil Aussehen erregt haben, kaum war ich an Land gesprungen, so traten mir einige Herren in der Uniform der englischen Aerzte entgegen — unter ihnen, wie sich bei unseren Vorstellungell ergab, der Chefarzt der ganzen Anlage. Ich wandte mich sofort an ihn mit der Frage, ob sich Capitäil Alfred Sampson noch in seiner Pflege befände — ich gestehe, mein Herz klopfte gewaltig. Der Arzt bejahte, aber fügte zugleich mit einem entsetzlichen Achselzucken, das mir das Blut starreil machte, hinzu: „Sind der Herr ein Verwandter des Capitäns? Es ist leider ein sehr trauriger Fall, wie ich nicht verhehlen darf."
Ich erklärte ihm kurz den Zusammenhang, wobei ich natürlich Miß Eleonore nur als eine Verwandte des Verwundeten bezeichnete. Der Arzt wurde aufmerksam: „Bitte, treten Sie in meine Baracke", forderte er mich höflich ans. „In dieser Sonnenglnth kann man ja kein vernünftiges Wort redeil."
„Also darf ich meiner Begleiterin sagen lassen, daß Mister Sampson lebt?"
„Noch lebt! Ja, Herr, das dürfen Sie, aber erwecken Sie keine übermäßigen Hoffnungen, denn der Fall ist ebenso ernst, wie er für uns interessant ist."
Ich gab dem Dragoman, der mir an das Land gefolgt war, einen entsprechendeil Auftrag und trat dann mit dem Arzt in sein Zelt, um seine weiteren Ausschlüsse entgegenzunehmen.
„Der Capitän ist in der That sehr schwer verwundet ^— ein Säbelhieb, der ein gut Theil der Gehirndecke bloßlegte, streckte ihn nieder und das
Unglück wollte, daß der Aermstc erst nach Stunden ansgesnnden wurde. Aber die Verwundung ist an sich nicht das Bedenklichste, ich zweifle keinen Angeilblick, daß der eiserne Körper des jungen, tapferen Offiziers sie spielend überwunden hätte. Es müssen vielmehr tiefe Gemüthsaffektionen sein, welche die Wiederherstellung verzögerten, ja fast unmöglich zu machen scheinen — das Klima mag ein klebriges gethan haben, kurz ich kann Ihnen nicht verhehlen, ich halte das Totalbefinden des Capitäns für äußerst gefährlich. Noch vor einer Stunde stand ich all seinem Lager — der Aermste lag in wildem Fieber, das aller unserer Mittel, selbst der stärksten, andauernd spottet: Wir müssen darauf gefaßt sein, daß die Krisis stündlich eintreten kann und sie wird menschlicher Berechnung nach zum Tode führen."
Ich war tieferschüttert: Also dazu sollte Eleonore hierhergekommen sein? „Und erkennt der Capitän in seinem Zustand Niemand?" fragte ich endlich.
Der Arzt lächelte überlegen: „Bei so hochgradigem Fieber ist das ausgeschlossen. Uebrigens ahne ich den Grund ihrer Frage und null sie gleich beantworten: Ich habe des Kranken halber keine Ursache, zu verbieten, daß Ihre Begleiterin — sagten Sie nicht, daß es seine Cousine sei? — ihn sieht, ich muß dabei aber bemerken, daß die Dame selbst vielleicht Erschütterungen ansgesetzt ist, welche nur eine kräftige Constitution und ein starker Geist ertragen kann."
Die Reihe, zu lächeln, war jetzt an mir, freilich mochte mein Lächeln ein sehr, sehr wehmüthiges sein: „Sie können unbesorgt sein, Miß Sampson ist trotz ihrer Jugend von seltener Charakterfestigkeit. Wem: Sie also meinen, daß Sie ihr eine gewisse Betheiligung an der Pflege des Verwundeten, der ihrem Herzen sehr nahe steht, gewähren dürfen, so wird sie von Ihrer Erlaubnis; gewiß sehr dankbarst Gebrauch und zwar sofort machen."
„Wir können uns nur glücklich schätzen, wenn uns eine solche Unterstützung zu Theil wird," ent- gegnete der Chefarzt verbindlich. „Weibliche Fürsorge vermissen wir hier nur zu sehr, sie aber zu ersetzen ist ganz unmöglich. Ich werde sogleich meine bezüglichen Anordnungen treffen und erwarte Sie im Zelt 71, in dem der Capitän — wir haben ihn separiren müssen — liegt."
Eine Viertelstunde später war ich mit Eleonore ans dem Wege zu dem Verwundeten. Sie war gefaßt und ruhig — ruhiger noch, als ich selbst vermuthet hatte. Ich verhehlte ihr Nichts von dem, was mir l)r. Borkum gesagt hatte, sie verrieth kaum mit einen: Zucken, wie tief meine Worte sie ergriffen:
„Ich will stark sein!" sagte sie einfach. „Ich muß es sein und ich kann es sein. Führen Sie mich zu ihm, mein Freund."