A. Müller von Brandenburg. Zur Sonnenhöhe.
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bemerkte Stürmer. „Wir leben in einer materiellen Zeit, die nur das Geschäft und den Gewinn anerkennt. Der Herr Kreispräsident hat spekulirt und die Spekulation ist geglückt; er bedurfte eines größeren Besitzthums und hat es erworben. Vorig, tont!"
Bronker rang verzweifelt die Hände. Er war irre geworden an seinem Sohne, er verstand diese Welt nicht mehr. Bärbi war auf einen Stuhl gesunken und weinte bitterlich, denn auch sie vermochte den Gedanken nicht zu fassen, daß Eonrad es war, der das gnädige Fräulein aus dem Schlosse vertreiben sollte.
Aber der Kelch des Schmerzes war noch nicht geleert. Strauß erschien, aufgeregt, athemlos. Er hatte den, wenn auch nur kurzen Weg von der Stadt bis zu dem Dorfe in größter Eile zurückgelegt und stürzte, eine Depesche mit der Hand emporhaltend, in das kleine Gemach.
„Was sagen Sie jetzt, verehrter Freund?" rief er jubelnd. „Ich hatte Ihren Sieg Seiner Excel- lenz telegraphirt; hier ist die Rückantwort. Wersen Sie sich in die Brust, vortrefflichster aller Kreispräsidenten, Ereellenz von Hohenberg senden ihre herzlichste Gratulation, Se. Hoheit hat Ihre Erhebung in den Adelstand beschlossen, und Fräulein Leonie sendet tausend Grüße ihrem zukünftigen Gemahl."
„Seine Frau!" schrie Bärbi auf; die Sinne vergingen ihr, mit der Hand krampfhaft nach dem Herzen greifend, sprang sie empor, sank aber im nächsten Augenblicke bewußtlos zusammen und wäre zu Boden gesunken, wenn Bronker sie nicht in seinen Armen ansgefangen hätte.
„Mensch, bist Du rasend!" jammerte der Alte, „häufst Du denn Verrath auf Verrath; fürchtest Du nicht, daß des Himmels Blitz auf Dein schuldbeladenes Haupt niederfährt? Sieh' dieses Mädchen, dieses arme, unschuldige Geschöpf an, das Du ins Herz getroffen hast, und dann sinke in die Erde vor Scham und Schande!"
Conrad zitterte an allen Gliedern, sein Gesicht war bleich, seine Augen drohten aus ihren Höhlen zu springen, und er rang stöhnend nach Fassung. Stürmer sprang zu ihm und hielt ihn aufrecht.
„Muth, Muth!" ries er ihm zu. „Nun ist Alles erreicht, was Sie erreichen wollten und erreichen mußten. Jetzt, Herr von Bronker, jetzt stehen Sie aus der Sonnenhöhe des Glückes."
„Des Glückes?" flüsterte Conrad tonlos. „Ich war noch niemals so unglücklich, als in diesem Augenblicke!"
Ein düsteres Schweigen trat ein. Bronker war mit Bärbi beschäftigt, die soeben wieder zu sich kam und sich langsam erholte, Strauß, der gern allen peinlichen Situationen aus dem Wege ging, fühlte
sich im höchsten Grade unbehaglich, Stürmer aber blickte ruhig um sich, als ob gar nichts vorgefallen wäre, sah dann nach der Uhr und bemerkte, daß es Zeit sein würde, nach der Stadt zurückzukehren, um nicht den Curirzug zu versäumen. Conrad machte eine Bewegung, als wenn er das Zimmer verlassen wollte. Bärbi trat ihm einen Schritt näher und sah ihm ins Auge, als ob sie zu ihm reden wollte, dann aber wandte sie sich von ihm zu Bronker.
„Gebt Euch zur Ruhe, Ohm," sagte sie mit weicher Stimme, „laßt ab von Eurem Zorn, denn des Menschen Zorn thut nicht, was vor Gott recht ist. Das Glück ist nicht für jeden Menschen aus der Welt, und wem es den Rücken kehrt, der soll sich fügen und sein Schicksal tragen. Schaut, Ohm. ich habe ihn ja so lieb gehabt, so grausam lieb, und doch hat er mein vergesseil und hat eine andere gewählt. Das hat hier" — und sie legte die Hand aufs Herz — „tief, tief hineingetroffen; aber mit mir war' er vielleicht nicht so glücklich geworden, wenn ich es auch treu mit ihm gemeint habe, und so laßt ihn denn. Wenn es ihm nur zum Glücke dient — was ist an einem dummen Ding, wie ich bin, gelegen!"
„Sie sollten stolz sein," nahm Stürmer das Wort, indem er sich zu Bronker wandte, „sollten sich geehrt fühlen in diesem Sohne, der Ehre, Macht und Reichthum durch eigene Kraft und eigenes Talent errungen hat —"
„Und dabei zum Schelm geworden ist!" unterbrach ihn Bronker heftig. „Macht, Reichthum, Ehre, ja, das sind die unheilvollen Götzen unserer Zeit, vor denen die Menschheit im Staube liegt, denen sie Menschenwürde und Mannesehre zum Opfer bringt, Glanz und Genuß, das ist der Inhalt Eures Stre- bens und das Ziel Eurer wahnsinnigen Jagd; aber stürmt nur weiter und immer weiter, Ihr werdet ja sehen, wohin das Rasen aus dieser abschüssigen Bahn Euch führt!"
„Vater," sagte Conrad, aber der Alte ließ ihn nicht zu Worte kommem
„Schweig!" rief er heftig, „Du hast Dich heute von Deines Vaters Brust losgerissen, und unsere Wege scheiden sich fortan. Der meine wird mich bald zur Ruhe führen, und mit reinem Herzen und freiem Gewissen werde ich mich ins Grab legen, arm, ohne Glanz, aber ehrlich und versöhnt mit Gott und mir; Du aber, der Du Dich Deines alten Vaters unwürdig erwiesen hast, der Du durch Wort und That mich verleugnest, geh', geh', wohin Du willst! Ich konnte Dich nicht retten, denn Du wolltest keine Rettung; so will ich denn auch keinen Antheil an Dir haben. Ich fluche Dir nicht, denn «mein ist die Rache«, spricht der Herr. Komm, Mädchen, weine nicht, denn er ist der Thränen nicht Werth!"