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A. Müller von Brandenburg.
Und er nahm Bärbi's Hand und führte sie in ihr Zimmer.
„Ein Familiendrama!" sagte spöttisch der Polizeirath leise zu Strauß, der voller Angst neben ihm stand, und zu Conrad gewandt fuhr er, lauter- sprechend, fort: „Wir werden noch den Zug versäumen!"
„Sie haben recht," entgegnete Conrad tonlos; „lassen Sie uns eilen!"
Eine halbe Stunde später saß Conrad mit Strauß und Stürmer im Coupee und eilte zur Stadt zurück.
Draußen vor der fürstlichen Residenz in der gartenreichen, heiteren Vorstadt, in welcher sich die meist geschmackvoll erbauten Landhäuser und Villen der vornehmen Welt rings um einen mäßig großen Park erheben, lag das mit allem Comfort der modernen Zeit ausgestattete kleine Haus des Doctor Heinrich Falk, welches er seit zwei Jahren bewohnte. Es war ein reizendes, trauliches Heim umritten eines sauberen Gärtchens, umgeben von Blumenbeeten, auf denen eine liebevolle Hand eine fast erdrückende Menge der verschiedensten Pflanzen zu pflegen schien. Trat man in das im edelsten Stil aufgeführte kleine Gebäude, so sah man zur Linken des Hausflures eine Thür, die in das Arbeitszimmer des Doctors führte, welches mit allerlei seltsamen Waffen und wunderlichem Gerätst geschmückt war, wie es der Inhaber dieses Raumes von seinen langen Wanderfahrten in fernen Erd- theilen mitgebracht hatte, und dessen Wände hohe Bücherregale zum guteu Theile verdeckten. In der Mitte der Fensterwand jedoch stand der breite mit Papieren aller Art, mit Zeitungen und Broschüren bedeckte Diplomatentisch, in dessen Mitte eine kleine, zierliche Vase mit frischen Blumen prangte. Zur Rechten des Flures ging es dagegen in ein elegantes Boudoir, welches einen entzückenden Anblick darbot und wie eine Stätte des Friedens in seiner aumuthi- gen Ausstattung zum dauernden Verweilen Jeden einzuladen schien, der die Schwelle desselben überschritt.
Es war still in diesem Zimmer, ganz still. Auf einem Stuhle am Fenster saß eine herzige, junge Frau mit frischer, blühender Gesichtsfarbe in moderner, aber einfacher und trotzdem eleganter Toilette und arbeitete emsig an einer angefangenen Stickerei. Von Zeit zu Zeit nur machte sie eine kurze Pause, legte die Hände in den Schooß und schaute mit zufriedenem Lächeln durch das Fenster in den blühenden Garten hinaus und summte ganz leise einige Takte eines Liedes vor sich hin. Diese junge Dame war Frau Doctor Falk.
Soeben war sie wieder eifrig dabei, mit den rosigen Fingern einen goldenen Schmetterling auf den Cannevas zu zaubern, als die Thüre des
Nebenzimmers aufging und der Gemahl des jungen Weibes eintrat, einen ganzen Stoß Journale aller Art in der Hand haltend, in deren einem er selbst im Gehen zu lesen schien.
„Steckst Du schon wieder in Deiner Politik und Deinen Zeitungen," redete sie den Eintreten- deu mit scherzhaftem Vorwurf an, „seitdem Dil in der Kammer sitzest und auf nichts weiter denkst, als dem armen Ministerium und seinem Unter- staatssecretär zu Leibe zu gehen, bist Du für uns andere Menschen gar nicht mehr zu sprechen. Es ist ja richtig, der Mann hat garstig an Dir und Anderen gehandelt, aber er war gewiß nicht allein an allem Unheil schuld, und, daß Du es nun weißt, es ist recht schlecht von Dir, immerfort nur auf Rache zu sinnen."
„Du irrst, kleine Bärbi," entgegnete Falk, indem er der schmollenden Gattin lachend einen Kuß auf die blühenden Lippen drückte, „es handelt sich gar nicht um die Person Conrad's oder der Minister, sondern allein um die Sache. Aber auch Dich habe ich trotz aller Aufregung und Arbeit ebensowenig vergesseil, wie meine Pflanzen und meine Botanik; habe ich mir doch bei allen trockenen Geschäften eine frische, duftige Rose gewonuen. Die presse ich auch, aber nicht in das Herbarium, sondern als liebes Weib an meine Brust." Und mit diesen Worten legte er schmeichelnd ihr Köpfchen an seine Schulter.
„Machst Du schon wieder Cvmplimente, Du Schelm?" fragte Frau Doctor Falk und stellte sich, als ob sie den Herrn Gemahl von sich drängen wollte, ohne jedoch ernstlich auf ihrem Vorhaben zu beharren.
„Wir sind ja erst zwei Jahre vcrheirathet," vertheidigte Heinrich sich.
„So? Also nachher, meinst Du, da kann's aufhören, wenn ich auch erst so ein altes Blümchen bin und wenn die Wangen welk geworden sind. Pfui, Heinrich, schäme Dich! Aber so seid Jhr Mannsleute alle."
„Brrr!" lachte Heinrich, „da haben wir's wieder. Uber wie reizend die Kleine aussieht, wenn sie schmollt; schon um das Gesichtchen zu sehen, möchte man sie den ganzen Tag ärgern."
„Also darum zankt Ihr mit uns armen Weibern, daß wir schmollen und reizend aussehen sollen! O, was diese Männer doch raff— wie nennt Ihr das doch?"
„Raffinirt."
„Ja, was Ihr raffinirt seid! Aber nun lege einmal Deine Zeitungen da aus den Tisch und sieh Dir an, was Dein armes verlassenes Weib inzwischen für eine wunderschöne Arbeit gemacht hat! Sieh nur dieses Bouquet! Was?"
„Sehr schön, Kleine, sehr schön! Aber unlogisch!