Heft 
(1.1.2019) 09
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Zur Sonnenhöhe.

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früher, und der Glanz der Allgen matter geworden war; nur die unbefangene Heiterkeit und das sorg­lose Wesen ihrer Mädchenjahre war von ihr ge­wichen, und ein ernster nachdenklicher Zug des Ge­sichts ließ sie vielleicht einige Jahre älter erscheinen, als sie in der That war. Meta und Bärbi eilten der Eintretenden entgegen und schlossen sie herzlich ill die Arme. Leonie brach in Thränen aus.

Verzeiht mir, daß ich weine," rief sie erregt, aber es erleichtert mir den Schmerz, und ich habe Niemand, den ich meine Thränen sehen lassen darf, als Euch; und Euch will ich mein Herz ausschüt- teu, denn ich weiß, daß Ihr es gilt mit mir meint, und ich bedarf des Mitleids edler Menschen, wenn ich nicht erliegen soll."

Die beiden Freundinnen suchten sie zu beruhi­gen, was ihnen endlich auch ziemlich gelang, und mit größerer Fassung fuhr Leonie fort:

Mit welcher Freude sah ich in die Zukunft an jenem Tage, wo ich meine Hand in die Conrad's legte und seine Liebe mir des Himmels Seligkeit erschloß, und jetzt, wie ganz anders ist alles ge­kommen!"

Und liegt die Schuld ans seiner Seite allein?" fragte Meta, der jungen Frau sanft in das Auge blickend.

Wer dürste sagen, daß er ohne Fehler ist?" wich Leonie ans.Ich habe ihn geliebt, wie nur eine Frau lieben kann, ich war glücklich, ich war stolz ans meinen Mann, aber er dachte anders, ich allein füllte seine Seele nicht ans, er trug in sei­ner Brust uoch eiue audere, leidenschaftlichere Liebe, als die zu mir, die maßlos, zügellos war, der er Alles opferte, das war sein brennender Ehrgeiz, der mit jedem Tage zunahm. Und je mehr dieser Ehrgeiz wuchs, desto mehr erblich mein Bild vor seinen Augen, und ich, ich hüllte mich in Külte, in Gleichgültigkeit, weil ich mich gekränkt fühlte, ich überließ ihn mehr und mehr sich selbst, statt ihn mit sanfter Hand von seiner unglücklichen Bahn znrückznsühren und durch die Behaglichkeit eines trauten Hauses an mich zu fesseln. So verlor ich ihn endlich und auf immer."

Das klingt hart, liebe Leonie," sagte Meta freundlich,Du giebst Dein Glück zu früh ans, noch blüht die Hoffnung"

Nein, Meta, es ist zu spät!"

Bärbi sprang auf:Zu spät? Nichts ist zu spät, so lange nur noch athmen, und wenn Schatten zwi­schen Sie und Ihren Mann getreten sind, nun, der Himmel ist nicht ewig sonnenklar, die Wolken ver­decken oft sein reines Blau, aber sie verschwinden auch wieder, und dann erscheint das Firmament uns doppelt schon. Unrecht freilich war es, Leonie, daß Sie sich von ihm zurückzogen, daß Sie ihm nicht mit verdoppelter Herzlichkeit entgegentraten, aber

Conrads Herz ist nicht leergebrannt, ist nicht un­fähig zur Liebe, es ist der sanften Ermahnung und der freundlichen Bitte gewiß noch zugänglich."

Ich glaube es nicht mehr; der Ehrgeiz erfüllt ihn zu sehr, und ihm würde er ohne Bedenken alles opfern, selbst sein Weib. Ach, ich bin unsäg­lich elend."

Conrad ist nicht, wie Du ihn schilderst," sagte Meta.Ich kenne ihn von Kindheit an. Andere sind es, die ihn fortreißen, Stürmer zumal. Dieser Mann, dem Conrad anfänglich im Wege stand, ver­suchte zuerst ihn zu beseitigen. Als ihm das nicht gelang, als der junge Beamte sich des unerschütter­lichen Vertrauens Deines Vaters erfreute, änderte Stürmer seinen Plan und suchte sich Deines Mannes zu bedienen, um sich selbst in die Höhe zu bringen. Er trieb ihn Schritt für Schritt weiter auf der Bahn des Ehrgeizes, er gab ihm Mittel und Wege an, zu Macht, Ehre, Reichthum zu gelangen, er brachte ihn in die Verbindung mit Strauß, der zu seinen Spekulationen den einflußreichen Beamten und dessen Schwiegervater nöthig hatte und die beiden Herren haben ja auch ihr Ziel erreicht, Herr Strauß ist Commerzienrath, Stürmer Geheimrath, beide sind reiche Leute geworden. Aber Geduld, ich hoffe, auch deren Stunde wird noch schlagen und Stürmer zumal wird noch dafür büßen, daß er einen gut und edel veranlagten Manu, wie Conrad, ans Ab­wege geführt und sich selbst entfremdet hat."

Leouie war überrascht. Sie hatte sich nie um ihres Gatten Beziehungen zu Strauß und Stürmer bekümmert, hatte nie versucht, Conrads eigenstes, innerstes Wesen zu erforschen. Ihr war es genug gewesen, ihn zu lieben und von ihm, wie sie glaubte, wiedergeliebt, als die schöne Frau des gefeierten Mannes verehrt und bewundert zu werden.

Mein Gott," rief sie,ist denn das Alles wahr! Du sahst das und ich allein bemerkte es nie?"

Das ist sehr erklärlich," nahm Bärbi das Wort, Sie haben eben nie in die Tiefe seines Herzens einzudringen gesucht. Sie waren verzeihen Sie das harte Wort, liebe Freundin zu oberflächlich, um ihn ganz zu erforschen. Aber noch ist es nicht zu spät lernen Sie ihn jetzt verstehen und lieben, wahrhaft lieben, jetzt, wo ihm die Liebe mehr als je nöthig ist und er der milden Hand einer Frau bedarf, um sich von dein Sturze zu er­heben, der ihn bedroht und der, wie Sie ja wohl wissen, kaum zu vermeiden sein wird. Und wenn Sie dann seine Liebe, seine volle, ansrichtige Liebe wiedergewinnen, dann danken Sie Gott und segnen Sie selbst die Stunde, in welcher der äußere Schmerz über Sie hereinbrach."

Ich danke Ihnen für diese Worte," sagte Leonie und küßte Bärbi,sie sollen mich anfrichten, wenn ich verzagen will."

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