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A. Müller von Brandenburg.
„Und NUN Muth, Leonie, Mnth! Dort kommt mein Gatte aus der Stadt zurück; ich fürchte, die Entscheidung ist bereits gefallen." —
So war es in der That. Falk brachte die Nachricht mit, daß das Ministerium seine Demission eingereicht habe und daß dieselbe von dem Fürsten unzweifelhaft angenommen werden würde. Die Mitglieder des neuen Cabinets sowie der eventuelle Nachfolger des Nnterstaatssecretärs wurden bereits mit aller Bestimmtheit genannt. Conrad selbst, den Falk hatte aufsuchen wollen, war nicht zu Hause gewesen, und so hatte er in der Wohnung desselben nur seine Karte abgegeben.
Er rieth jetzt Leonie, nach Hause zu fahren, damit ihr Gemahl bei seiner Heimkehr sie nicht vermisse, aber die junge Frau, welche die eben gehörten Neuigkeiten gefaßt ausgenommen hatte, weil sie aus das sichere Eintreffen derselben längst vorbereitet gewesen war, zögerte, den Rath des Doctors zu befolgen.
„Mein Mann," sagte sie, „kümmert sich ja doch nicht um mich und entbehrt mich nicht, am allerwenigsten jetzt, wo er den Kopf so voll hat."
„Sv ist es Ihre Pflicht, ihn aufzusuchen," rief Bärbi, „und ihn von den trüben Gedanken abzulenken, die ihn quälen. Wenn jemals, so ist heute Ihr Platz an seiner Seite."
Leonie versuchte noch einige Einwendungen zu machen, aber Meta und Bärbi wußten dieselben so energisch und erfolgreich zu bekämpfen, daß Leonie bald in den Wagen stieg, um in ihre Wohnung zurückzukehren. Dort angekommen begab sie sich sofort in das Zimmer ihres Gemahls, klopfenden Herzens; aber Niemand war da; der Diener erklärte, daß der gnädige Herr bald nach dem Dvetor Falk dagewesen sei, dessen Karte vorgesunden und bald darauf sein Cabriolet besohlen habe, in welchem er abgefahren sei, ohne zu hinterlassen, wohin.
So blieb Leonie nichts übrig, als geduldig auszuharren , bis ihr Gemahl znrückkehren würde. Dieser war zuerst zu dem Ministerpräsidenten gefahren, mit welchem er eine längere Unterredung hatte, dann gab er dem Kutscher Befehl, ihn nach „Villa Falk" zu fahren. Zehn Minuten später hielt das Cabriolet vor der Thür des Doctors, Conrad ließ sich melden und stand im nächsten Moment dem überraschten Herrn des Hauses gegenüber. Seine Haltung war fest und ruhig, nur die Bläffe seines Gesichtes verrieth die Spuren der gewaltigen Aufregung, deren Beute er in den letzten Tagen gewesen war.
„Du hast mich ausgesucht," begann er.
„Ich war in Deinem Hause."
„Und ich beeile mich, wie Du siehst, Deinen Besuch zu erwiedern. Du wolltest wohl eine gefallene Größe sehen, einen Ikarus, der zur Sonne
ausznsteigen gedachte, aber mit versengten Flügeln in das Meer stürzte. Dir, der Du mit Deinen Parteigenossen redlich dazu beigetragen hast, diesen Sturz herbeizuführen, muß ein solcher Anblick willkommen sein, und ich bin liebenswürdig genug, ihn Dir zu gewähren."
„Laß diese Bitterkeit," entgegnete der Doctor mit Ruhe, „Du wirst ja doch wohl selber nicht an das glauben, was Du da sagst. Ich frohlockte weder über das Mißgeschick, noch habe ich es herbeigeführt. Du warst und bist der Anhänger und Vertheidiger eines politischen Systems, das sich überlebt und den Boden im Volke verloren und das unser weiser Fürst selbst als unhaltbar erkannt hat. Mit dem fallenden System müssen natürlich auch die Männer weichen, die es vertraten, und zu diesen Männern gehörst auch Du."
„War es diese Mittheilung, derentwegen Du mich aussuchtest? Ich meine, da hättest Du Dir die Mühe ersparen können."
„Nein," entgegnete Falk, „ich kam als Freund, weil ich mir dachte, daß ich Dir vielleicht irgendwie beistehen, Dir nützen könnte."
„Ich danke dem einflußreichen Abgeordneten und Parteiführer der Opposition für diese freundliche Absicht, aber ich bitte Dich, nicht zu vergessen, welche Kluft zwischen uns beiden liegt."
„Zwischen uns als Männern der Politik, ja, zwischen Conrad Bronker und Heinrich Falk als Menschen nicht. Conrad Bronker —"
„Ist freilich nur noch ein unbrauchbares Wrack," unterbrach ihn der Unterstaatssecretär mit schmerzlichem Lächeln, „der Schatten —"
„Eines Weltenstürmers, der sich ans das wilde Roß Ehrgeiz geschwungen hatte, nur eine tolle Jagd nach einem vermeintlichen Glücke zu unternehmen, ohne zu ahnen, daß der Glanz, dem er nacheilte, nur Irrlichter waren, die aus einem Sumpfe tanzten."
„Vermeintes Glück?!" brauste Conrad auf. „Ist es nicht das einzige, das wahre?"
„Nein, Conrad. Das wahre Glück hast Du nie erkannt und nie erreicht. Sage selbst, hast Du je Befriedigung gefühlt? Von Stufe zu Stufe bist Du gestiegen, Deine Tage und Deine Nächte hast Du unablässiger Arbeit geopfert, und wenn Du ermattet ruhen wolltest, floh Dich der Schlaf."
Conrad machte eine abwehrende Bewegung.
„Ich weiß es," fuhr Falk fort. „Deine Gemahlin, die mit der meinigen seit längerer Zeit in freundschaftlichem Verkehr steht, wenn Du Dich auch ängstlich von uns fern gehalten hast, hat es meiner Bärbi mehr als einmal geklagt. Der Morgen nach der durchwachten Nacht fand Dich wieder denkend, grübelnd, sorgend; Ehren auf Ehren wurden Dir zu Theil, aber Dich peinigte unaufhörliche Begier nach neuen Auszeichnungen; Reichthum und