Zur Sonnenhöhe.
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Leonie. „Du hast es nach nie betreten, Vater. Mache mir jetzt die Freude, Dich als meinen liebsten Gast dort einführen zn dürfen!"
Bronker weigerte sich anfänglich, gab aber schließlich den dringenden Bitten der jungen Frau nach und begleitete sie nach Hanse.
Conrad war inzwischen zurückgekehrt und hatte sich in sein Arbeitszimmer begeben. Er war verstört und mißgestimmt. Tausend und abertausend Gedanken quälten und marterten ihn, und vergeblich bemühte er sich, mit sich selber zur Klarheit zu kommen. Während er mit hastigen Schritten auf- und abging, wurde ihm der Commerzienrath Strauß gemeldet. Er ließ ihn vor, und der Ban- qnier hatte eine lange Unterredung mit ihm, die jedoch kein befriedigendes Resultat ergeben haben mußte, denn der Commerzienrath verließ ihn mit den Worten: „Sie werden es bereuen, Herr Unter- stantsseeretttr."
Als Strauß soeben das Haus verlassen wollte, begegnete er Leonie, welche mit Bronker gerade die Treppe Hinaufstieg. Er begrüßte sie und bat sie, ihm eine kurze Unterredung zu gestatten, die von der äußersten Wichtigkeit wäre, und Leonie ersuchte ihn, in den Salon einzutreten.
„Ich komme von Ihrem Herrn Gemahl, gnädige Frau," begann er, „ich wollte als Freund ihn warnen, aber er ist taub für meine Vorschläge, deshalb wende ich mich an Sie in der Hoffnung, daß Sie mehr Einstich auf ihn haben."
Leonie bat ihn, sich möglichst kurz zu fassen.
„Erschrecken Sie nicht, wenn ich Ihnen Schlimmes berichten muß. Ihr Herr Gemahl ist halb rninirt, die großen Spekulationen, in welche er sich trotz meiner Warnung eingelassen hat, sind mißglückt, das Actienunternehmen ist verloren, der Direktor ist mit einem ungeheuren Kassendesect verschwunden. Retten Sie aus dem Ruin Ihr eigenes Vermögen, trennen Sie Ihre Sache von der Ihres Gemahls, fordern Sie Ihre Mitgift zurück, entreißen Sie diese den Gläubigern —"
Leonie unterbrach ihn.
„Ich danke Ihnen für Ihren guten Rath, aber ich kann nicht darnach handeln. Was meines Mannes Eigenthum war, gehörte auch mir; nun wohl, mein Vermögen gehört meinem Gatten, ich darf und will darüber nicht verfügen."
Strauß zuckte die Achseln.
„Ganz wie Sie wollen, meine Gnädigste! Ich habe es gut gemeint und will hoffen, daß Sie Ihren Entschluß niemals bereuen mögen. Ich habe die Ehre."
Er ging. Leonie begab sich in das anstoßende Zimmer und theilte Bronker den Inhalt der Unterredung mit, welche sie mit Strauß gehabt hatte.
„Du hast recht gehandelt," sagte er, ihr die Hand drückend, „aber jetzt laß mich zn Conrad gehen. Wo ist sein Zimmer?"
Leonie führte ihn dorthin, verließ ihn vor der Thüre und kehrte in ihr Boudoir zurück.
Bronker klopfte an die Thüre, Niemand rief „herein!" So öffnete er ohne Weiteres und trat ein. An seinem Tische saß Conrad, dem Eintretenden den Rücken zuwendend und unbekümmert um das Geräusch, welches durch das Erscheinen Brou- kers hervorgernfen wurde. In der Hand hielt er einen Revolver, dessen Mündung gegen die Brust gerichtet war, aber die ganze Haltung des Unter- staatssecretärs war die eines Mannes, der noch unentschlossen ist, ob er den letzten, unwiderruflichen Schritt thun soll oder nicht.
„Conrad!" rief Bronker mit starker Stimme. Der Angerufene erschrak, und der Revolver entsank seiner Hand.
„Vater! Du hier?!"
„Und wie es scheint, gerade zur rechten Zeit, um Dich an einer Dummheit zu hindern. Bist Du der Mann, der sich vermessen hat, eine Welt in die Schranken zu fordern, und der nun das Spiel verloren giebt, wo die Würfel ihm unglücklich gefallen sind?"
Er nahm die Waffe von dem Tische, auf welchen sie gefallen war, und behielt sie in der Hand.
„Ich hasse dieses Leben," sagte Conrad, finster zn Boden blickend.
„Ja," erwiderte der Vater, „so sprecht Ihr alle, wenn Ihr durch eigene Schuld mit Eurem Dasein Schiffbruch leidet. Zeige Muth im Unglück, ertrage, was Du verschuldet, büße, was Du gefehlt, aber entziehe Dich nicht, wie ein Feigling, der Welt, an die Dich Pflichten, heilige Pflichten fesseln. Sterben wolltest Du, und Dein Weib —"
„Leonie!"
„Sie hat ein Recht auf Dich, auf Dein Leben, Deine Liebe! Du hast ihr Geschick an das Deinige gekettet!"
„Sie hat mich nie geliebt!"
„Mehr, als Du verdientest. Du hast nur nie versucht, in der Tiefe ihres Herzens zu lesen, Du hast nie Zeit gefunden, an sie zn denken, und darum gingst Du gleichgültig an ihrer Seite, wie Du gefühllos warst für treue Freundschaft und Ergebenheit. An Leonie, an Falk, an Bärbi hast Du viel, sehr viel gut zu machen, ein neues Leben sollst Du, mußt Du beginnen, ein reiches, weites Feld der Thätigkeit ist Dir eröffnet, dort wirke, dort schaffe und arbeite, für Dich, für uns, für Dein wahres Glück!"
„Wenn ich es noch könnte!" rief er schmerzlich aus.
Da öffnete sich die Thüre.