Heft 
(1.1.2019) 09
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Zur Charakteristik König Ludwig's II.

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auf den Thron, an Schönheit und Eitelkeit ein Narzissus, an Kenntnissen ein Schüler, an liebens­würdigen Eigenschaften ein schüchterner Jüngling, an Welterfahrung ein Knabe. Während seiner zweiundzwanzigjährigen Regierung stellen sich fol­gende Eigenschaften in diesem vielfach vergötterten König gegenüber: Berückende persönliche Liebens­würdigkeit und Größenwahn, maßlose Freigebigkeit und tyrannischer Befehl, Menschenscheu und Sucht nach großen Effecten, Gutherzigkeit und ein starrer Eigensinn bis zur Versteinerung. Alles Kleinliche vermeidend, keine Ahnung von dem Werth des Geldes oder der Kostbarkeiten, die er hausenweise verschenkte, wurde er zum Verschwender, ohne es zu wollen oder zu wissen; ein Budget kannte er nicht und wurde ihm ein solches vorgelegt, so ver­stand er es nicht, weil ihm der Zahlenbegriff fehlte. Der Werthabstand zwischen Hunderttausend und einer Million war ihm unfaßlich, nach Einführung der Markwahrnng gegenüber der Gnldenwährnng soll ihm der Zahlenbegriss noch mehr abhanden gekommen sein. Dagegen waren seine sonstigen Kenntnisse, die er sich erst als König durch Studium und Lectüre gesammelt, besonders in der Geschichte nnd Literatur von einer fast beunruhigenden Ge­nauigkeit und er setzte diese auch bei seiner Um­gebung voraus; er entließ plötzlich einen Secretär, weil dieser den Vornamen Molisres nicht wußte, rügte scharf die Etiynetten- und Regiefehler in der Darstellung von historischen Vorgängen auf der Bühne und corrigirte die Künstler, wenn sie in Bildern und Dekorationen für seine Schlösser re. die geringsten Anachronismen in Costümen, Orna­mentik, in cultur- oder knnstgeschichtlicher Hinsicht hervorbrachten.

Nach seiner ganzen körperlichen und geistigen Veranlagung zu schließen, lebte Ludwig von früher Jugend an im Wahn, daß er durch seine hohe Ge­burt nicht nur ein gewaltiger Beherrscher der Menschheit sei, sondern daß er auch in einer ganz vollkommen idealen Welt lebe und se mehr er all­mählich einsah, daß das Leben seiner Unterthanen und der Menschen überhaupt nicht aus Idealen zusammengesetzt sei, desto mehr bauete er sich seine Welt der Ideale in sich auf.

Hoher Gedankenftug führte ihn ins Bereich des Traumlebens, er wollte mit kühner Hand Luft­schlösser zu wirklichen Schlössern gestalten, die Phan­tasie eines Dora nnd die Pracht des Orients waren seine Bangehülfen und in den bayerischen Bergen suchte er nach Felsen und Schluchten, die einer Doraschen Phantasie gleichkamen, die er aber bitter enttäuscht aufgeben mußte, weil er sie nicht finden konnte. Sehr bezeichnend für diesen Zustand seiner Idealwelt ist seine Vorliebe für das Theater, er­kannte ganze Stücke Schiller's nnd Goethe's aus­

wendig hersagen, und wie die gemalte Coulisse oder ein phantastischer Hintergrund mit der Perspective auf großartige Marmorschlösser plötzlich seinen Ent­schlüssen zu neuen Ideen Flügel lieh, so war es ihm auch ein Bedürfniß, einen oder den andern Schauspieler oder Sänger schnell und unvermuthet von der Bühne fort zu sich aus seine Schlösser zu ziehen und ihn solange seines näheren Umganges werth zu halten, bis er schmerzlich enttäuscht er­kannte, daß dieser Künstler mit gewöhnlichen Sterb­lichen nicht viel anderes gemein hatte als mensch­lich zu leiden und zu begehren. Seine Vorliebe für Richard Wagner, mit dem er auf dem Dntz- fnße gestanden, resnltirt aus den großen Effecten des Wagnerschen Beiwerks und der geräuschvollen und sinnlichen Musik; in den letzten Jahren konnte der König überhaupt nur Stücke sehen, die starke Anforderungen an die Nerven und Sinne machten. Das letzte Stück vor seinem Tode war Sardou's Theodora, inscenirt mit allen nur erdenklichen das Auge und die Sinne berückenden Mitteln. Als in der Schlußscene die Heldin ihren verrathenen Lieb­haber aus Barmherzigkeit mit einer Haarnadel in's Herz sticht, lehnt sich der König leidenschaftlich, weit über die Logenbrüstung wie ein Tiger, der zum Sprunge bereit, damit ihm der pathologische Vor­gang des Sterbens nicht entgehe.

Der junge Monarch kannte die Welt und das Leben nicht, der gereiste Mann entfremdete sich ihnen. Er hat seine nächste Welt im Kleinen nicht einmal gesehen, geschweige denn den großen Markt des Lebens draußen. Er war nie auf Reisen, einige Ausflüge an den Vierwaldstättersee ausgenommen; erst ans Büchern lernte er die Prosa des Lebens erfassen.

Sein Vater Max II. hatte vom ersten Anfang an dem Geist des Kronprinzen eine Richtung ans das Ernste und Große gegeben, jede Zerstreuung, jede Genußsucht von ihm fern gehalten, jedes Spiel­zeug wurde verbannt; man sagt, daß eine leben­dige Schildkröte, gewiß kein aufregender Spielgenoß, lange Zeit seine einzige Unterhaltung gewesen, als ihm auch diese genommen, sei er in einen schwer zu bezwingenden Eigenwillen verfallen. Erst als er König war, überließ er sich dem lang entbehrten Genuß guter Speisen und Getränke und dem Be­hagen der Freiheit, aber diese Freiheit mag wohl zu plötzlich über ihn gekommen sein; denn mit ihr kam auch ein Hang zum Despotismus, erzeugt durch die plötzliche Machtfülle des Königs- und Herrscherbewußtseins.

Durch seine Erscheinung gewann er die Herzen besonders des weiblichen Geschlechtes, von den Ge­fühlen seiner Macht und Erhabenheit im Sturm erfaßt und durchdrungen, lehnte er aber ab nach Popularität zu Haschen, er wollte einsam sein und