Heft 
(1.1.2019) 09
Seite
422
Einzelbild herunterladen

422

Zur Charakteristik Aonig Ludwig's II.

wie ein unsichtbarer Gott unerkannt die Welt be­glücken. Seine Verlobung mit der jüngsten Schwe­ster der Kaiserin von Oesterreich, einer Tochter des Herzogs Max in Bayern unter jubelnden Accorden geschlossen, wurde nach zweijähriger Dauer wieder gelost. Es existiren viele Versionen über diesen langen Brautstand; etwas Tragikomik, die Bosheit der Fama und ein erkleckliches Quantum nackter Wahr­heit haben das Verhältniß gebieterisch gelöst, aus­schlaggebend hierbei aber ist das Bestreben des Kö­nigs gewesen, sich niemals und in keiner Lebens­lage beherrschen zu lassen, sondern selbst zu herr­schen, unumschränkt. So erklärt sich auch die Ver­schmelzung seines Größenwahns mit Freigebigkeit, die er nach allen Richtungen hin durch wahrhaft fürstliche, übermäßig reiche Geschenke bethätigte, mit welchen er sich die Herrschaft über jeden fremden Willen er­zwang. Er suchte sich Freunde, hob sie jäh mit sürstlicher Huld zu seinem intimsten Vertrauen em­por um sie eben so jäh in den Abgrund plötzlicher Ungnade hinabzustürzen. Hieraus resnltiren Ent­täuschungen, die sein fürstlicher Sinn, sein unum­schränktes Königsbewußtsein, seine Herrschergewalt nicht ertragen konnten. So hatte er eine neue großartige Straße in München projectirt, deren Abschluß das Richard Wagnertheater (später in Bay­reuth erbaut) bilden sollte. Die Pläne mit allen prunkhaften Details waren fertig, aber die städti­schen Behörden versagten ihre Genehmigung und eine den Bestrebungen Wagners feindlich gesinnte, machtvolle Clique wußte den Vertrauten des Kö­nigs zu stürzen. Das herrliche Luftschloß, ein Lieb­lingsgedanke des Königs, lag in Scherben und sein verbitterter Sinn baute jetzt Prachtschlösser an Stellen, wohin keines Müncheners Fuß je treten sollte. Seit dieser Zeit und auch schon seit dem 66er Feldzuge gegen Preußen witterte der König Feinde und Verräther ringsum, er zog sich auf seine Gebirgsschlösser zurück, um neue zu bauen aus menschenleerer Spur mit Zugbrücken und Ring­mauern.

Seit dieser Zeit datiren die ersten Keime eines Versolgungswahnsinus, er wurde unnahbar, sein strahlendes Jugendbild begann sich beim Volke langsam zu verdüstern und er vertraute nur noch seiner nächsten Umgebung, während die besten und treuesten seiner Unterthanen nunmehr einer sich sprungweise entwickelnden Störung seines Geistes gegenüberstanden. Ungern vermißte man ihn nach dem glorreichen französischen Feldzuge in Versailles und beim Einzuge der Truppen in Berlin oder bei sonstigen Festen am Kaiserhofe. Als der deutsche Kronprinz die seiner Führung anvertraut gewesenen bayerischen Truppen abliefernd seinen Einzug in München hielt, schaute der König mißmuthig und eifersüchtig drein und reiste ohne Abschied plötzlich

auf sein Bergschloß zurück, nicht wissen wollend, daß man bereit sei, ihn in München und Berlin jeder Zeit auf Händen zu tragen. In seine Haupt­stadt kam er nur noch um sich Separatvorstellungen im Theater Nachts im leeren, dunklen Hause geben zu lassen, oder einsam in seinen Gemächern und seinem phantastischen Wintergarten auf dem Dache des Schlosses wie ein Nachtwandler zu Hausen und die Nacht zum Tage, den Tag zur Nacht zu machen. Dann vergrub er sich in dramatische und historische Lectüre und Studium in wahrhaft staunenerregen­der Weise. Gestalten wie Narziß, Hainerlings König von Sion, Lvnis XIV. und XV., Moliäre, Voltaire, die Minnesänger, Jungfrau von Orleans waren seine Ideale, die umfassendsten Geschichts­werke, die ergiebigsten und seltensten Actenstücke der Cultur- und Sittengeschichte und alle nur erdenklichen Zeitungen und Zeitschriften, aber auch die fadesten Operettentexte und die nichtssagendsten Broschüren waren Gegenstände seiner Zerstreuung und Forschung. Seine Bedürfnisse ans diesem Gebiete waren un­erschöpfliche; Werke, die kein Buchhändler, kein Antiquar mehr erlangen konnte, mußten womöglich abschriftlich beschafft werden, neue dramatische Er­zeugnisse, ungeprüft ob gut oder schlecht, die nur als Unicum im Manuscript oder als Souffleurbuch existirten, wurden sofort abschriftlich hergestellt, und weigerte sich der nichtsahnende Autor, der ja den hohen Auftraggeber nicht kennen durste, so kam es vor, daß ein kundiger Stenograph in irgend einem Vorstadttheater Wiens oder Berlins, ans der ersten Sperrsitzreihe sitzend, das neue Stück während der Aufführung stenographiren mußte, damit es andern Tages dem König in sauberster Schrift auf Velin­papier zur Lectüre vorgelegt werden könne. Das Gute oder Schlechte spielte keine Rolle, der Telegraph spielte nach allen Windrichtungen, auch fand man Leute, die eine schnell herbeizuschaffende Waarensen- dung für den König als Passagiergut mitbrachten, um auf diese Weise schneller als die Post zu sein. Unverschuldete Verzögerung war Pflichtvergessenheil, die hart bestraft wurde, ein kleines unbedeutendes Ver­sehen auf der Bühne hatte sofortige Wiederholung des ganzen Stückes zur Folge, der Beginn der Separatvorstellungen wurde zu einer bestimmten vorgerückten Abendstunde angesetzt, Alles mußte fertig sein, die Regisseure warteten aus das Auf­ziehen des Vorhanges, während der König oft erst in später Nacht erschien und dem Stücke zuweilen theilnahmlos, zuweilen mit großer Erregung und so nachhaltigem Interesse beiwohnte, daß andern Tages eine sofortige Wiederholung befohlen wurde. Wehe dem Schauspieler oder Musiker, der Müdig­keit vorgeschützt oder es gewagt hätte auch nur mit einem Blick zur Königsloge emporzusehen.

Die Ausfahrten und Reisen des Königs ins