Heft 
(1.1.2019) 09
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Zur Charakteristik König Ludrvig's II.

sind die jähzornigen, rachsüchtigen; dreiachtel die Träumer und Phantasten; vierachtel die an Größen­wahn leidenden und die verkannten Genies; die sünfachtel Verrückten stehen schon unter Polizei­aufsicht, die sechsachtel Verrückten gehören in die Irrenanstalt, mit siebenachtel gehört man in die Zwangsjacke als unheilbar, mit achtachtel fristet man das Leben eines Thieres ohne Instinkt. Es ist also ein weiter Weg von dem Einachtel­verrückten bis zu dem Achtachtelverrückten, aber ge­wisse erbliche Anlagen, Bau des Schädels, Ent­wickelung des Gehirns und des Nervenlebens ge­statten auch das Ueberspringen einiger Stufen und eine geringe örtliche Veränderung ine Gehirn soll ja den begabtesten und klarsten Forscher, den glück­lichsten, liebenswürdigsten und geistig vollkommenen Menschen Zrackatiin zur Geistesdämmerung, dann zur Geistesnacht führen können. Zweifellos aber läßt sich ein solches Unglück auch bei erblicher An­lage leicht zum Wahnsinn veranlagter Naturen ver­hüten und zwar durch eine sorgsame und rationelle Erziehung. Diese Erziehung war bei dem König Ludwig eine unvollendete als er den Thron be­stieg und fortan war seinem Willen nirgends eine Schranke gesetzt, nirgends fand sich eine Klippe, an der die krankhaften Auswüchse seiner Neigungen rechtzeitig hätten Widerstand finden oder zerschellen können. Seine Befehle, auch die krankhaften und schwierigsten, wurden bei seinem Jähzorn schnell be­folgt, mau hatte ihn verwöhnt, man wußte das Unerreichbare möglich zu machen, und konnte ein Be­fehl nicht genau nach Vorschrift vollzogen werden, so glaubte der Monarch sofort an absichtlichen Wider­stand, an Ungehorsam, und wie er Willfährigkeit über alles Maß reich belohnte, so strafte er schein­baren Ungehorsam durch sofortige Entlassung aus dem Dienste. So wurde ein langjähriger, ver­dienstvoller Adjutant des Königs stehenden Fußes entlassen, weil er nach einer mit dem König unter­nommenen Gebirgstour, eben heimgekehrt, während einer nächtlichen Billardpartie mit dem Monarchen ein leichtes Gähnen nicht hatte unterdrücken können. Durch solche Vorkommnisse schwer beleidigt in seiner Königswürde, hielt der Monarch nach und nach alle Personen von sich fern, er wurde zum Einsiedler, zum Philosophen, zum Grübler, er konnte den An­blick der Menschen nicht mehr vertragen, er glaubte sich gehaßt, gemieden, verfolgt, beobachtet, er fragte ängstlich nach Personen, die er nicht kannte, wenn sich harmlose Touristen in einiger Entfernung vom Schlosse zeigten, und kam er nach München, so hielt er die Ansammlung von Neugierigen, die ihren König noch niemals in xersonn gesehen hatten, für aufständische, übelgesinnte Feinde. So erzeugte er selbst durch sein zurückgezogenes Leben eine be­rechtigte Neugier beim Volke, die sich in Wort und

Schrift nur zaghaft Luft machen durfte, die er aber für Zudringlichkeit und gefährlich hielt; dann for­derte er schärfere Bewachung auf seinen Spazier­fahrten durch vermehrte Gensdarmerie, die der Schnelligkeit seines Wagens kaum zu folgen ver­mochte. In der Verbitterung, die aus seiner zurück­gegangenen Verlobung entstanden, wähnte er sich seinem Volke entfremdet, in den Attentaten auf den deutschen und russischen Kaiser sah auch er sein Leben bedroht, der Verfolgungswahn war zur Gewißheit geworden. Ein Widerspruch liegt in der eitlen Sucht nach großen Effecten gegenüber seiner Zurückgezogenheit. Wer Pomp entfaltet, thnt es, um bewundert zu sein und nicht für sich allein. Die enorme Pracht seiner Schlösser, den fasciniren- den Aufwand im Theater entfaltete er nur für sich, er duldete nicht, daß ein anderes menschliches Auge sich daran ergötze oder etwas darüber schreibe, hieraus aber resultirt eine nicht befriedigte Eitelkeit, die sich natürlich aus dem Stillschweigen der Bevölkerung ergab, sie konnte ihn nnr zu weiteren Extravaganzen führen, deren Bewunderer er sich fern hielt. Solche Erscheinungen hatten in den letzten Jahren einen bedenklichen Höhepunkt erreicht, mehr und mehr wurde er der gesunden Wirklichkeit entrückt, an deren Stelle wahnhafte Neigungen und Vorstel­lungen traten. Die Flugmaschine seiner überreizten Phantasie wurde ebenso unhaltbar und verderben­bringend wie seine jüngst mißglückten Versuche, einen mechanischen Flugapparat in Thätigkeit zu setzen, der Mechanismus desselben versagte wie der Mechanismus seiner Gehirnthätigkeit.

Die große, in etwa zwölf Millionen sich ent­ziffernde Schuldenlast hatte ihm bislang keine Sor­gen gemacht, die Summe war auch thatsächlich nicht groß genug, als daß der Staatsschatz sie nicht so­fort hätte decken können, aber die Bedingung, daß der König die kostbaren Bauten sogleich einstelle, eonvenirte ihm nicht, daraus resultirten Meinungs­verschiedenheiten, die das Herannahen einer Kata­strophe beschleunigen mußten. Der König antwor­tete auf die Weigerung mit einer Reihe ungesetz­licher Todesurtheile, befahl, die Commission, welche sich dem Schlosse Schwanstein behufs Ankündigung einer anderen Regentschaft nähern würde, zu ver­haften, sie zu blenden und bis auf's Blut zu peit­schen; aber es war kein Aufraffen mehr möglich, die Zügel der Negierung festznhalten, sie entglitten willenlos seinen Händen. Mißtrauen gegen fast Alles und Alle erfüllte seine einst so vertrauens­volle, von Idealen und Meuschenglück durchzitterte Brust. Kein ärztlicher Rath, keine einflußreiche, keine freundlich warnende Stimme konnte an sein Ohr dringen. Seine nächste Umgebung mag aus Scheu vor Widerspruch, theils aus anderen nahe­liegenden Motiven ihn in seinen Wahngebilden,