Enkel und Großvater. Selten wohl hat ein Ereigniß einen allerorten so tiefen, ein jedes Menschenherz so mächtig ergreifenden Eindruck hervorgerufen, selten wohl hat ein Geschehniß ein solches mit Entsetzen gepaartes Mitgefühl erregt, wie jene furchtbare Katastrophe, mit der am ersten Pfiugstfeiertage dieses Jahres das erst wenige Tage vorher auf Hohenschwangau begonnene Trauerspiel in den Wellen des Starnberger Sees seinen unerwarteten Abschluß gefunden.
Ach ja, auch ihn, der als königlicher Jüngling in einer Welt poetischer Phantasie«: gelebt,
Auch ihn hat es belogen,
Auch ihn hat es betrogen,
Das sonnige Märchen vom Glück!
Und ewig wahr bleibt das Wort des Solon: „Niemand ist vor seinem Ende glücklich zu Preisen!"
Romanhafter und in seinem Ausgange markerschütternder ist überhaupt wohl selten ein Lebenslauf gewesen, als derjenige des gleicherweise beneidens- wie beweinens- werthen Königs Ludwig II. von Bayern. Herrlich, glänzend beanlagt, nur von den edelsten Idealen durchglüht, von der treuesten Hingabe an die deutsche Nation beseelt und deshalb, gleich einem Titus, von Millionen geliebt und verehrt, ist er, weil ihm das richtige Maßhalten von der Natur versagt war, einen: dunklen Fatum verfallen, das fürwahr an eine antike Schicksalstragödie erinnert. Die allmähliche Umnachtung seines hohen Geistes bestätigt aufs Neue den bekannten Satz der Theorie von der Vererbung, daß diese in Bezug auf verschiedene sogenannte angeborene Eigenthümlichkeiten Lücken und Intervalle zn- läßt. Der Großvater des unglücklichen Wittelsbachers, der in den letzten Jahren als wahnbeherrschter Menschenfeind in geisterhafter Unruhe von einen: Alpengipfel zum andern zu huschen pflegte und nun in einer engen, dumpfen Gruft zur ewigen Ruhe gebettet worden ist, Ludwig I. war als Sonderling bekannt und gewissermaßen allgemein anerkannt. Der Vater des zweiten Ludwig dagegen war ein ernster, hausbackener Mann, halb Militär und halb Beamter, welcher Nichts kannte und nichts Anderes kennen wollte, als seine Pflicht. Bei den Enkeln aber — denn ja auch der einst lebensfrohe, junge Bruder Ludwig's II., der jetzige Schattenkönig Otto I., ist unheilbar geisteskrank — kan: die Sonderbarkeit des Großvaters, der „Spleen", wenn man so sagen darf, wieder zum Vorschein, und zwar in einem unheivoll verstärkten Grade. Zu den Sonder- lichkeiten des „alten Ludwig", wie der zweite König von Bayern in seiner später« Lebenszeit vom Volke genannt wurde, gehörte eine mit seiner großen Kunstliebe in steten: Streite liegende übertriebene Sparsamkeit. Behielt jene
Knnöscha«.
in ihm einmal die Oberhand und entschloß ser sich z. B. wirklich zum Ankäufe eines Bildes oder einer Statue, so drückte er den Künstler im Preise und „handelte"; er ging dabei soweit, zuerst die Hälfte des geforderten Preises« zu bieten, und erst wenn man ihn auf das für den Künstler Kränkende eines solchen Benehmens aufmerksam machte, verstand er sich dazu, in: Preise hinaufzugehen, doch immer mit großer Vorsicht und Zurückhaltung.
Dies sei zum Verständniß des Folgenden vorausgeschickt.
Ludwig I. lieble zu jeder Jahreszeit einsame Spaziergänge. In München bevorzugte er dabei den Englischen Garten. Als er nun einmal an einem schönen, aber kalten Februartag um Mittag in der Gegend des Monop- teros (ein nur von einer Säulenhalle umgebener Rundbau) dahinschritt, sah er einen dürftig gekleideten,^verfroren aussehenden jungen Menschen ziemlich rasch auf- und abgehen. Dabei las derselbe in einem Buche, das er abwechselnd mit der einen und der andern Hand erfaßte, um die, welche vorher Lein: Halten des Buches erstarrt war, zur Erwärmung in die Tasche seines dünnen Flanses zu stecken. Dem König gefiel das intelligente Aussehen des Spaziergängers. Er gesellte sich deshalb zu ihm und fragte ihn, was ihn veranlasse, hier in der Kälte einsam zu wandeln, während andere Leute in der warmen Stube beim Mittagsmahle säßen. Der Gefragte erzählte ihm darauf, daß er Student, aber sehr arm sei und kein Geld zur Heizung seines Dachstübchens habe, so daß es dort noch kalter als jetzt im Freien sei, wo doch wenigstens die Sonne scheine und er sich auch durch schnelles Gehen etwas erwärmen könne; sein Mittagessen trage er in Gestalt eines Stückes Brod und einer Knackwurst bei sich. Nachdem Ludwig den armen Studenten belobt, daß er unter solchen Verhältnissen den Muth nicht verloren, und ihn zu fernerem Ausharren ermahnt hatte, rieth er ihm, sich doch an den König zu wenden, der ja alle edlen Bestrebungen gern unterstütze und gewiß auch ihm helfen würde. Da schlug aber der Musensohn, der in dem unscheinbaren Männchen an seiner Seite wohl alles Andere eher, als seinen König vermuthet hätte, ein Helle Lache auf und entgegnete: „Na, lieber Herr, Sie sind gewiß kein Münchner, denn sonst würden Sie nicht so reden. Von dem Knicker könnt'Einer was kriegen!" Ludwig hatte genug an dem Gehörten und entfernte sich unter einem gedehnten „So, so", mit kurzem Gruße von dem offenherzigen Jüngling, der nicht üble Lust zu haben schien, sich noch weiter in solcher Tonart über den König auszulassen. Als aber unser Studio nach Besuch seiner Nach- mittagscollegien seine ungemüthliche Behausung wieder aufsuchte, überraschte ihn seine Wirthin mit der angenehmen
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