Ihr Geheimniß.
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berührten. Da die Fremde den Fuß hielt, und der Professor ihn untersuchte, während Lady Emmily, dann und wann schrill aufschreiend, mit dem Oberkörper sich vor Schmerz hin- und herwand.
„Seien Sie doch vernünftig, Mylady, so weh kann's unmöglich thnn," sprach Professor Lenz ungeduldig ans sie ein. „Weshalb haben Sie überhaupt den Wagen verlassen ohne meine Hülfe?"
„Was wird Spencer sagen," jammerte sie kindisch. „Oh, dieser abscheuliche Continent, wäre ich doch in England geblieben. Ich wollte Euer schreckliches deutsches Getränk nicht, ich wollte Ihnen nach und Thee bestellen, Doctor. Eure deutsche Unsauberkeit ist an Allem Schuld; warum polirte das schmutzige Geschöpf den Wagentritt nicht erst," brach sie außer sich los.
„Er kann nicht dafür, daß es Morgens reift und Sie unvernünftig hohe Absätze tragen, Lady Emmily," sprach Georg Lenz etwas gönnerhaft und blickte in kölnischer Verzweiflung zu der Dame hin, als wollte er mit feinem Achselzucken ausdrücken: Man muß Geduld mit ihr haben, Du kannst so vielen kindischen Unverstand natürlich nur belächeln.
Sie lächelte aber keineswegs, sondern nahm ihr Krankenpflegeramt verzweifelt ernst. Aus ihrer Reisetasche hatte sie ein feines Handtuch und eine Scheere gezogen und schnitt der Länge nach lange Streifen zu einer Binde zurecht, die sie mit ein paar Sicherheitsnadeln kunstgerecht aneinanderheftete. Dann legte sie die Stöhnende mit sanftester Vorsicht ans der Polsterbank zurecht, schob ihr einen Haufen Decken als Stütze unter den ansgestreckten Fuß, sprach ihr besänftigend wie einem Kinde Mnth zu und machte sich stillschweigend daran, den Fuß mit Compressen zu kühlen, die sie dem Becken entnahm, das Professor Lenz ernsthaft ans seinen Knien balancirte.
Die Komik der Situation, das ängstliche Behüten der übervollen Schüssel bei jedem Wagenruck, ging den beiden eifrigen Krankenpflegern darüber verloren; es durchbrach aber selbstverständlich auch jede Mauer der Förmlichkeit und brachte sie sich vertraulich in der gemeinsamen Sorge um die weinerliche Kranke näher.
Man erfuhr mit der Zeit, daß man beinahe das gleiche Reiseziel habe, und es war natürlich, daß Professor Lenz von der geschickten Helferin die Gunst erbat, Gefährten während der ganzen Tour zu bleiben und ebenso natürlich, daß das etwas zögernd zwar, aber doch graziös lächelnd zugesagt wurde: Ueber ihre eigenen Verhältnisse blieb die verschlossene Fremde seltsam zurückhaltend. In den Streifen des Handtuchs, auf dessen Ecke zufällig das Auge des Professors fiel, als er nach ein paar Stunden den Fuß mit der improvisirten Binde
umwickelte, war ein Monogramm: 8. v. unter einer Grasenkrone eingestickt. Die Fremde stellte sich jedoch, als die Gelegenheit es dringend erheischte, Lady Emmily ans deren naivdreiste Frage als Sybille Werder vor. Sie sagte auf deren ungenirtes Ausfragen, daß sie aus Norddeutschland stamme, ohne jeden Anhang sei und über ihre Person, Zeit und Mittel ganz unumschränkt verfügen könne, daß sie einstweilen sich Capri zum Winteranfenthalt erkoren, es aber für sie auch nicht allsgeschlossen sei, dort ihren bleibenden Wohnsitz aufznschlagen. Daß sie sich vielleicht dort ankaufen würde, um dauernd an Land und Leuten Knnststudien zu machen.
Also eine Malerin! Professor Lenz ließ enttäuscht ein wenig die Mundwinkel sinken. Die angenehme Dame, wie jammerschade! Sie hatte erreichen lassen, daß sie unvermählt sei. Die — Malerin! Sie hatte sogar nichts Auffälliges oder Gesuchtes, was darauf schließen ließ, nichts Genialliederliches, Ungenirtes oder Emancipirthervor- tretendes, was ihm die ganze weibliche Bernfs- klasse stets zum Greuel gemacht und ihn scheu sie meiden ließ. Fräulein Sybille Werder mußte mit ihren klugen Augen in seiner Seele zu lesen verstehen. „Haben Sie keine Furcht, Herr Professor," lächelte sie mit ihrem melancholisch-süßen Lächeln, „ich bin keine von der Zunft, nur eine ganz unbedeutende kleine Dilettantin, die noch vor dem Vorhang des Tempels steht und wahrscheinlich nie in das .Allerheiligste zugelassen wird. Ich male, wie die Vögel singen und wie die Wellen rauschen, weil sie nicht anders können, ohne jede Kenntniß der Technik, ans reiner Freude an dem Vermögen, stümperhaft nachzubilden, was mir tieferen Eindruck macht. Ich habe mir Jean Pauls Worte zum Princip gemacht: »Ernste Thätigkeit
söhnt zuletzt immer mit dem Leben aus«, und da beginne ich mit der Malerei. Hoffentlich nehmen Sie mir das nicht übel?"
„Aber, Fräulein Sybille, jetzt spotten Sie meiner," wehrte er sich mit jenem sonnigen Aufleuchten der Augen, das ihn so bezwingend machte.
„Sie mögen keine selbständigen Frauen?"
„Ich möchte keine neben mir. Ich will Ihnen in Bezug auf mich ohne Arroganz auch mit Jean Paul entgegnen: »Je kräftiger und geistreicher
und größer zwei Menschen sind, desto weniger vertragen sie sich unter einer Decke«. Mir con- venirt die ausgesprochene Weiblichkeit im Verkehr mehr. Sonst achte ich jede Willenskraft, jedes klare Wollen und Handeln, jeden Unabhängigkeitssinn," sagte er ehrlich.
„Wohl allen, denen das Schicksal gestattete, den Grad ihrer Selbständigkeit ungeprüft zu lassen," gab sie schwermnthsvoll zurück und mehr zu sich