438
L. Zoeller-Lionhearl.
als zu ihm: „Wie wenige sind selbständig ans
dem innersten Bedürfniß heraus, wie drängt die meisten nur die Nothwendigkeit hinaus in das Leben, in dem sie fest Fuß fassen müssen, um nicht niedergerannt zu werden von den Stärkeren. Wie wohl muß der Frau sein, die stillgeborgen sich überlegenerer Kraft unterordnen darf, die ausrnhen kann im Hasen." Der Rest verlor sich in einem Murmeln.
„Wer ist Jean Paul?" fuhr Lady Emmily unceremoniös dazwischen.
Die Beiden sahen sich amüsirt an. Eine Art Freimaurerschaft bildete sich zwischen ihnen aus. Der hochgebildete Mann ahnte instinctiv in der cultivirten Frau den wahlverwandten Geist.
„Ein etwas veraltetes Genie, das von den Damen der Neuzeit meist nur noch dem Namen nach gekannt wird," belehrte sie Sybille.
„Gedankenblitze unter wirrer Verschnörkelung, Perlen unter vielem Flitter," vervollständigte der Professor, indem er über Lady Hanghtons Kopf fvrtsprechend das Wort eigentlich nur an Sybille richtete.
So ging es die ganze Reise hindurch fort. Lady Emmily mit ihren Ansprüchen, ihrer naiven Arroganz, die sie jede Freundlichkeit als etwas Selbstverständliches hinnehmen ließ, blieb das Bindemittel, das zwei Menschen schnell sich seelisch näher führte, die für einander gleichsam geschaffen schienen. In dem Bemühen um das verzogene Kind begegneten sich ihre Gedanken, zuweilen auch ihre Hände und Professor Lenz konnte nicht umhin, zu bewundern, von welch plastischer Form und wie gleichsam durchgeistigt diese schönen weißen Franen- httnde waren.
Arbeit, hartes Ringen um das tägliche Brod kannten sie sicher nicht. Was konnte die Einsame sonst aber schutzlos in den Kampf des Lebens treiben? Für welches Leid sollte die Arbeit sie zuletzt mit dem Leben anssöhnen?
Verlorenes Glück! — Ist noch Raum in dieser Seele für ein neues oder ist jedes Empfinden für Zeit und Ewigkeit zu Grabe getragen. „Welch ein Phantast Du bist, der sonst für den nüchternsten der Menschen gilt," lachte sich Professor Lenz selber ans, als er in feinem Gedankengang bis zu diesem Punkt gelangt war. „Packt's Dich auch 'mal mit der Allgewalt, der Dil sonst geringschätzend gelacht hast? — Was weißt Du von ihr mehr, als daß sie sanft und klug ist, und gut und rein scheint, weil ihre Augen seelenvoll mW tief Dich anblicken. Wer ist sie, — wo kommt sie her, welches Lebensgeheimniß hütet sie mit solcher Aengstlichkeit, daß schon die harmloseste Frage nach ihren Verhältnissen sie wie eine Schuldbewußte zusammenfahren läßt?
Sollte man nicht lieber doch den Verkehr, den der Zufall herbeigeführt und begünstigte, kurz ab- schneiden? Ein Vorwand fände sich ja leicht in Lady Emmily's leidendem Zustand. Spencer Haughton könnte man telegraphiren, daß man ihn hier in Neapel und nicht, wie verabredet, aus Capri, erwartet. Er selber kehrte, sobald er sein anvertrautes Gut den Händen des Besitzers überliefert, wieder heim; und dort in seine Berufsthätigkeit und seine Alles absorbirenden Studien vergraben, wird er den kurzen Traum, der sich seiner müßigen Phantasie bemächtigt, schnell wieder abschütteln.
Der Weg zur Hölle ist leider mit guten Vorsätzen gepflastert, das sollte Professor Lenz an sich selbst erfahren. Während er das im Geiste erwog, fragte er laut schon nach den weiteren Reiseplänen der interessanten Begleiterin.
Lady Emmily legte mit gewohntem rücksichtslosen Egoismus ganz und gar Beschlag ans Fräulein Werder: „Wie er nur so fragen könne; es
wäre ja ganz selbstverständlich, daß Miß Sybille bei ihr bleibe, bis sie sich nach Capri einschiffen könnten. Niemand verstünde mit so leichter Hand die Bandagen um ihren kranken Fuß zu legen, der Professor sei ein Henker, aber kein Doctor. Die Jenkings wickele viel zu fest und nachher drückten sie. Miß Sybille habe eine so wohllautende Stimme zum Vorlesen und wäre zur Krankenpflegerin wie geschaffen, durch ihre so sanstüberredende Art und sie errathe förmlich, was den Appetit anreizen könne. Der Doctor sei barsch und abweisend mit ihr, wie mit einem ungezogenen Kinde und sie fürchte sich vor ihm. Fräulein Sybille müsse unbedingt in ihrer Gesellschaft bleiben, bis der thenre Spencer für sie wieder sorgen könne und um keinen Preis der Welt trenne sie sich von der neuen Freundin. Es wäre Barbarei, daran zu denken!"
Was war da zu thnn? Dem krankhaft gereizten Ungestüm der jungen Frau mußten die beiden verständigen Menschen sich fügen, obschon sie Beide fühlten, daß Flucht vor einander das Richtige fei, — daß sie an dem Wendepunkt ihres Schicksals angekommen, daß die Wolken sich unheilvoll durch diesen falschen Schritt über ihren Häuptern zusammenthürmten.
Seufzend ergaben sie sich in das Unvermeidliche. „Es ist mein Fatum," beruhigte sich Professor Lenz, und das Fatum schien ihm keineswegs abschreckend. „Es ist eine neue Prüfung," resignirte Sybille Werder. Und dann besuchten sie gemeinschaftlich Kirchen und Sehenswürdigkeiten von Neapel, während der Stunden, die Lady Emmily ans dem Sopha im Hotel verträumte und kamen zu immer größerer Ueberzengung, wie sehr sie sich in ihren Geschmacksrichtungen begegneten, welch gleich tiefes Verständnis; sie für die genialen Schöpfungen