Ihr Geheimniß.
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der Kunst in sich trugen, welch ähnliche Begeiste- rnngssähigkeit, welch verwandten geläuterten Sinn für Hehres und Schönes.
Die Art und Weise des Kunstgenusses und deren Aeußerungen können unglaublich schnell zu einander führen und auch trennen. Lady Emmily stand isolirt da, wenn sie sich dann und wann einmal pflichtmäßig zu irgend einem der bekannten Kunstwerke hinführen ließ. Ihr banales: „Uovol^, 0 ckoar N16, liorä lovol^!" verletzte des Professors Ohr. Ein warmer Blick in Sybillens Augen und sie verstanden sich wortlos. —
So hatten sie eben beinahe Capri auf ihrer Barke erreicht und weideten das trunkene Auge an dem herrlichen Landschaftsbilde. Hold und furchtbar zugleich lag es da, von gezackten Klippen starrend, bergig und steil mit seinen rothen Felswänden und doch heiter herauslachend aus seiner Blüthenpracht.
Es war an einem Freitag, als sie die Ueber- fahrt von Svrrento aus ins Werk setzten.
„Sind Sie abergläubisch, Fräulein Sybille? Alan soll heut nichts Neues beginnen, von dem man sich einen guten Ausgang verspricht," bemerkte der Professor mit einem Versuch zum Scherzen, der ihn besonders angenehm machte.
„Ich habe nur gehört, daß das, was man am Freitag beginnt, nicht von langer Dauer sein soll. Für Sie und Lady Haughton wird sich das ja verwirklichen, sobald Sir Spencer Haughton Capri satt hat. Ich werde vielleicht mein Leben da beschließen."
„Wirklich?"
Sie erröthete unter dem bedeutungsvollen Blick, mit dem er ihr tief in die Augen sah. Wie reizend sie wurde mit diesen zart angehauchten Rosen auf den blassen Wangeu, wie jung und holdselig.
Das Meer war leicht bewegt, Lady Emmily und ihre Kammerfrau kreischten mitunter ängstlich auf, wenn die Barke sich hoch auf den Kamm einer Welle hob oder in den Abgrund zu versinken drohte. Sybille saß ruhig da, ein Zug stillen Friedens lag auf ihrem schönen Gesicht. „Sie fürchten sich nicht, Fräulein Werder?"
„Wie sollte ich, es ist ja keine Gefahr, Herr- Professor."
„Und wenn es Gefahr wäre?"
Sie zuckte nur die Achsel.
„Sie geben dem Leben keinen Werth?"
„Nein!"
„Weshalb?" fragte er dringender. „Sie sind noch juug, können kaum mehr als Mitte Zwanzig sein, — was hat Sie so lebensfertig gemacht? Würde Sie kein Bedauern packen, wenn die nächste Welle das Boot zum Kentern brächte?"
„Ja!"
„Doch, doch also, ich wußte es ja," brach es fast jubelnd aus ihm hervor.
Ein unsäglich trauriges Lächeln umzitterte ihren Mund. „Sie mißverstehen mich ganz und gar, Herr Professor. Ich würde nur um das Leben bangen, das für Andere von Werth ist, zum Beispiel für das Ihrige, der Sie der Welt nützen, Lady Haughtons, die ihrem Gemahl unersetzlich ist; jenes der armen Schiffer und Fischer selbst, um die Weib und Kind daheim weinten. Ich habe Niemanden auf der Welt, der weiß, ob ich lebe oder sterbe, der dadurch verlöre, ja mehr noch, der sich wahrscheinlich."
Da brach sie plötzlich ab, als graue ihr selber vor der Unnatur dessen, was ihren Lippen entschlüpfen wollte und ihre Finger flochten sich krampfhaft in einander, als wolle sie gewaltsam die unsägliche Bitterkeit Niederdrücken, die in ihr nuf- stieg.
Man hatte den Strand eben erreicht. Ernst und feierlich still lagen die Felsen ringsum, rosen- farben das im Sonnenuntergang purpurn angehauchte Meer. Auf den Höhen standen drohende Castelle, zerfallen, verwittert; wildzerklüftete Klippen ragten in die blauen Wolken, goldgelb kletterte der Ginster über Ruinen und Felsgeröll hin. Von den Terrassen längs der Abhänge strecken blühende Orangen- und Mandelbäume ihre duftigen Zweige; berauschend senden tausend in die Fugen der Felsen eingeklemmte Kräuter ihren Athene in die Lüfte. Ein lachendes grünes Thal lehnt sich an bizarr zerrissene Felswände, und die Contraste pittoresker Wildheit und heiterster Lieblichkeit schaffen ein Laudschaftsbild ohne Gleichen.
Die Fischer sprangen kopfüber in das Wasser und zogen vom Ufer aus unter lautem Gekreische die Barken an Tauen an das paradiesische Eiland heran.
Als sie alle gelandet waren, trat noch einmal die Entscheidung air sie heran. Fräulein Sybille Werder hatte eigentlich beabsichtigt, ihr Zelt im Oberstädtcheu Aua Capriva — dem männerverlassenen Oertchen aus dem Berge Salaro anfznschlagen. Für- Lady Emmily wäre es im Normalzustand ihrer Füße mit ihrer schwachen Brust eine Unmöglichkeit gewesen, die steile Felsenstiege, die im Zickzack in den Fels gehauen ist, aus und ab zu steigen.
Des Professors scharfes Auge überflog prüfend die- elegante Gestalt Sybillens, ob sie solcher Anstrengung gewachsen sei. Trotz der Blässe mußte sie durch und durch gesund sein, keine Abspannung zeigte sich jemals während der ermüdenden Reise, immer zeigten die geschmeidigen Glieder die gleiche kraftvolle Elasticität.
Wie lebensmüde und menschenscheu aber mußte das arme Geschöpf sein, das sich aus freier Wahl