Heft 
(1.1.2019) 10
Seite
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Ihr Geheimniß.

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Ich schweige schon. Einer so geschlossenen Macht und so stets übereinstimmender Meinung gegenüber strecke ich die Waffen," schloß sie pikirt und mit spöttisch zuckender Lippe summte sie vor sich hin:

Zwei Seeleic und ein Gedanke, zwei."

Mit einer gewissen Autorität nahm Professor Lenz Sybillens Arm und führte sie hinaus auf die Loggia, über die sich weiches Abenddämmern breitete.

Flammendes Roth war ihr ins Gesicht ge­schossen.

Es ist die uralte Fabel der Schlange im Paradies, und die Nutzanwendung der etwas ab­gedroschenen Redensart: keine Rose ohne Dornen. Alles so köstlich harmonisch ringsum auf diesem gottbegnadeten Fleckchen Erde, wie das Asyl der Glückseligkeit und des ewigen Friedens selbst, ein wahrer Port, wohin der vom Leben Gehetzte sich hinflüchten möchte, und da greift schon die mythische Gestalt in die Paradiesesruhe störeud ein. Ich leid' es nicht, daß Sie sich durch Lady Emmily's Taktlosigkeit um die Frucht Ihres Mühens bringen lassen. Sie haben in der harmonischen Natur den Seelenfrieden zu finden gehofft. Hab' ich Recht?" Ja!"

Gut, Sie sollen durch ein verzogenes Kind, das ewig eins bleiben wird, durch den Unverstand meines bethörten Freundes, nicht um die Hoffnung betrogen werden. Lady Emmily stampft Alles unter ihre kleinen Herrscherfüße, was auf sich treten läßt. Ihre großartige Gefügigkeit macht Sie Mylady's Launenhaftigkeit zum bequemen Fußkissen. Ich wiederhole: Ich dulde das nicht."

Wie soll ich es hindern, Herr Professor?"

Indem .... indem." er suchte rath­

los umher.

Protestiren Hilst da nicht. Mylady's supremer Wille ist wie eine Sündfluth, die Alles mit fort­schwemmt, was sich in den Weg stellt, mit ihr heißt es biegen oder brechen."

Gut, so brechen Sie," sagte er entschieden.

Und Sie wollen die Last, diese verwöhnte Kranke zu unterhalten, ganz allein tragen, bis der Herr Gemahl kommt?"

Das ist Freundespslicht gegen diesen. Ich glaube auch kanm, daß sie an den bärbeißigen Tyrannen, wie sie mich im Gegensatz zn dem regierten Pantoffelhelden Spencer titulirt, viel Ansprüche stellen wird."

Und Pflicht der Menschlichkeit und Nächsten­liebe wäre es, Sie abzulösen."

Glauben Sie wirklich, daß von Ablösung da viel die Rede wäre? Sie müßten Ihre Sklaven­ketten geduldig tragen, bis ein noch gefügigerer Hö­riger das Scepter küßt. Mein Gott, wie können Männer Wachspuppen mit Uhrwerken in der Brust,

anstatt der Seele, zu ihrer Lebensgefährtin wählen," rief er unwillig. Und in dem Eifer der Frage griff er nach Sybillens Händen, zog sie etwas nä­her und blickte ihr in die tiefen Augen.Erklären Sie mir das Räthsel, Sybille: wie kann ein den­kender Mensch von der äußeren Form in einer Art und Weise sich bestricken lassen, daß er das Beste, das einzig Bleibende, Wahre, den Charakter, bei dem übersieht, der ein ganzes langes Leben mit ihm Glück und Leid theilen, sein tapferer Kamerad auf dem nicht immer leichten Wege bleiben soll. Be­greifen Sie das?"

Sie schüttelte den Kopf.

Eine neue Uebereinstimmung!" rief er freudig erregt und preßte leidenschaftlich ihre Hände in den seinen.Sehen Sie, meine theure Freundin, ich habe die Herrschaft der Sinne, als eine des besseren Menschen unwürdige, stets verachtet. Ein Flecken auf dem Charakter einer Frau würde mir eine Venus entgöttern, ein Heiligenbild vom Altar niederreißen. Ich muß achten, achten und ver­trauen, im schönen Glauben ausruhen können, daß sie meiner würdig ist, der ich den besten Theil meines Selbst gebe. Und weil ich nur Puppen, seelenlose Salongestalten oder engbegrenzte Küchen­gartenblümchen fand, die ich nicht verstand, die mich nicht verstanden im innersten Wesen, deshalb bin ich heute mit meinen 36 Jahren noch unvermählt, ich, der ich das Familienleben als das vollkommenste Institut unserer unvollkommenen Welt betrachte. Warum schaudern Sie so, Fräulein Sybille? Frie­ren Sie, soll ich Ihnen ein Tuch holen?"

Er war, ohne eine Antwort abzuwarten schon ins Zimmer gegangen, um etwas Warmes zu suchen.

Sybille ließ wie geknickt das Haupt an die Säule zurücksinken, über ihre Lippen rang sich ein ächzender Laut.

Ein Flecken auf dem Charakter," murmelte sie ein paar Mal wie geistesabwesend und strich sich über die Stirn hin; dann schritt sie planlos, ohne Zweck und Ziel durch den Garten hinaus, irgend wohin, gleichviel wohin sie ihr Fuß trug, nur der Gefahr entrinnen, ihm in das Auge zu sehen, das offene, klare, durchdringende Auge und noch einmal von ihm zu hören: »Ein Flecken aus dem Charakter würde mir ein Heiligenbild vom Altar reißen«.

War es denn aber ein Fleck auf dem Charakter? War es nicht tausendmal Schlimmeres: die zermalmende Last der Schuld?

Die Unglückliche stürmte davon, mechanisch den Weg zurück, den sie gekommen.

Wollte das Schicksal denn nie aufhören, sie zu verfolgen? War sie deshalb hierher geflohen, um hinein gezogen zu werden in neue Wirren, neue Kümpfe?