442
L. Zoeller-Lionheart.
Wie ein Hoffnungsstern hatte ihr das ferne Eiland gewinkt, alle die schreckliche Zeit hindurch, die hinter ihr lag. Wie eine Erleuchtung waren Gregorovius Worte über sie gekommen in jenen furchtbaren Stunden, wo sie sich verzweiflungsvoll gefragt: was nachher beginnen? — wo trägst du dein verpfuschtes Leben hin? — „Capri ist für- wahr ein rechter Ruheort für lebensmüde Menschen; und ich wüßte keine andere Stelle in der Welt, wo Jemand, der Schiffbruch gelitten, feine Tage so Wohl beschließen könnte!" — Wie verheißungsvoll hatten sie die Worte angeblickt, wie war sie ohne Säumen dem Ruheorte zugeeilt, nachdem es ihr vergönnt war, über ihr Thun zu entscheiden.
Die kindlich genügsamen Menschen trugen ja auch wohl die Signatur heiterer Zufriedenheit; — die malerisch in Weinbergen verstreuten Landhäuschen, die Physiognomie stillinnerster Glückseligkeit, — aus den lachenden Mädchenaugen leuchtete fröhliches Genügen, Meer und Vegetation zogen um das Eiland ihren farbenleuchtenden Kranz, aber in Sybillens Brust pochte das Herz furchtsamer denn je, in immer schnelleren Schlägen, denn der ersehnte Frieden floh vor ihr auf wie die unerreichbare Fata-Morgana.
Zu ihren Füßen breitete sich jetzt der Strand der Marina hin, gleichsam in zerklüftetes Gestein wie eingekeilt.
Todtenstill lagen die beiden weltvergessenen Fischerhänschen. Menschenverlassen lag der düstere Strand, über dem die röthlichgelbe Scheibe des Vollmonds stand.
Ueber die schwarzen Blöcke und das Geröll schritt Sybille fort bis hinein ins Meer, das in monotonem Singsang heranwogend, seine Wellen daran zerschellen läßt.
Eine Wasser-, eine Felswüste ringsum! Vor ihr das unendliche Meer, über ihrem Haupte düster- drohende Klippenkegel, zerrissene steilanssteigendeRisse, an welche die Brandung schneeweiß antobt, und die ihre düsteren Schatten geheimnisvoll über die Wasser breiten. Regungslos, die Arme fest um die Knie geschlungen, die Füße angezogen, damit die anschwellenden Wellen sie nicht benetzen, hockt sie aus ihrem Block in all dem Graus — eine Weltvergessene, deren trübe Gemüthsstimmung in Harmonie steht zu dem düsteren Nachtbilde der wildschaurigen Scenerie. Ueber ihrem Haupte kreischt schrill die Möve. In langgezogenen Harfenaccorden schwebt der Gesang der Seevögel von den Klippen über das rauschende Meer. Durch die Lüfte geht ge- heiinnißvolles Raunen und Rauschen — unbestimmbar und sehnsuchtsvoll, aus tausend im Dämmern verschwimmenden, im Seewind zitternden Gräsern und Büschen auf der Höh und traumverloren starren die Augen der einsamen Frau auf
die heranwogende Fluth, in der das Phantastische Mondlicht zitternde Goldringe zieht.
Die Oede ist ihr eben recht, sie paßt zu ihr, ihre zerrissene Stimmung in diese schauerliche Stille. Da gehört sie recht eigentlich hin, die ja die Menschen zu fliehen hat und das Glück mit ihrer verdammten Seele. —
Großer Gott, — die Menschen lassen nicht ab von ihr, wie scheu sie sich auch vor ihnen verbirgt. Da hallt ein elastischer Fuß durch die Nacht, der von Stein zu Stein springt, warm und weich legt es sich um sie, in leichter Hülle, die ein Arm sorglich um ihre Schultern breitet; — und der Arm zieht sich nicht gleich zurück und eine Secunde über- fluthet sie das selige Wonnegefühl: Du bist geborgen! — da er neben ihr auf dem Felsblocke kniet und den Wollshawl behutsam ihr über der Brust znsammenlegt und ihr mit warmem Blick zärtlich in die starren Augen blickt, als wolle er sie schmelzen, die Eiseskälte, die ihr Wesen eingefroren hält.
Nun nimmt er die eine und dann die andere eiskalte Hand und haucht in die Flächen und allmählich flnthet der warme Strom aus seinen Fingern elektrisch in die ihren über. Ein unbeschreibliches Wohlgefühl, ein Gefühl, wie sie es noch nie in ihrem Leben gekannt, strömt über sie hin. Still läßt sie Alles geschehen. Nur eine Weile sich willenlos treiben lassen, ausruhen, — ausruhen, so stillzufrieden, wie da ihr Haupt gegen den Arm gelehnt bleibt, der immer noch zögert, sich von dem Shawl zurückzuziehen. — O mein Gott, wenn ihr das vergönnt wäre — sie möchte es mit dem Rest ihres Lebens bezahlen! Darf sie denn — darf sie sich immer tiefer in das edle Herz jenes braven Mannes lügen, soll er an dieser Lüge auch mit zu Grunde gehen?
Soll sie ihm sagen, wie es um sie steht und sehen, wie er voll Abscheu sich von ihr wendet, wie sie Alle es gethan. Oder wird er die Probe bestehen? Wird er ihr glauben, er allein, wie furchtbar Alles auch gegen sie spricht? — Und wenn er ihr glaubt, bleibt dann nicht immer so Furchtbares noch zurück, daß kein Mann, der in der Welt lebt und mit den Menschen, darüber fort kann? —
Soll sie das Letzte, was ihr bleibt, die Achtung eines braven Mannes gefährden — vielleicht aufgeben durch ihre Bekenntnisse? Oder meidet sie ihn und geht ihm aus dem Wege und reißt von ihren Lippen willenskräftig den Becher, mit den wenigen süßen Tropfen, die ihr das Leben gelassen —- die Neigung eines guten Menscher:.
Oder gehorcht sie der immer dringenderen Stimme, die in ihr schreit nach Glück und läßt sich einwiegen an seiner Brust, wie ein kleines, krankes Kind, bis — bis Alles vorbei sein muß — deun sie weiß es deutlich, als wäre es ausgesprochen: er