Ihr Geheimiliß.
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gehört mit jeder Faser ihr — sie ihm — oder giebt sie sich hin der erwachenden Leidenschaft und schlürft sie und läßt ihn schlürfen in trunkener Vergessenheit ein kurzes, berauschendes Eintagsleben? —
Und dann? — —
Soll sie dann ihm sagen: ich war nicht gut genug, Deinen Namen zu tragen, oder: ich spielte mit Dir. Wird sie das zürnende Dräuen ans der Jupiterstirn dieses Mannes ertragen können, der sich der Spielball einer Frauenlanne glaubt. Wird das Erwachen aus dem seligen Traum nicht doppelt gräßlich sein, wenn sie ihr letztes Gut, — die Selbstachtung all dem Verlorenen noch nachgeschleudert? —
Nimmermehr, nimmermehr! Ihr Loos heißt: Entsagen!
Sie sprang jäh empor. Der Professor mit ihr. Mit fieberhaftem Interesse war er den Lichtern und Schatten gefolgt, die sich auf dem sprechenden Frauenantlitz jagten. Mit keiner Silbe hatte er ihre Träumereien zu stören gewagt; respectvoll schweigend nahm er jetzt am Ufer ihren Arm. „Wohin, Fräulein Werder?"
„Nach Haus," sagte sie tonlos.
„Sind Sie schon müde?"
„Schon?" — Wie trostlos dieses „schon" klang und welch ein schmerzensreiches: ich bin es ja längst, — daraus hervor klagte.
Was in der Welt hatte sie in ihren Jahren schon lebensmüde gemacht, — denn nicht der elastische Körper, die starke Seele dieses jungen Weibes war flügellahm.
Ob er die inhaltsschwere Frage jetzt an sie richtet, ob er sie jetzt über ihrer beider Zukunft entscheiden läßt? — Weiß er denn, wem er seinen geachteten Namen bietet, weiß er überhaupt, ob sie frei ist; — weiß er überhaupt etwas von ihr, er, der ihr rückhaltlos sein ganzes Leben dargelegt — die eisern über sich weiter schweigt? Im Schwanken und Zaudern vergeht die Zeit.
Das bläulich duftige Mondlicht liegt über Baum und Strauch, da sie, jedes in seine Gedankenwelt versunken, den duftathmenden Pfad emporsteigen; es badet mit geisterhafter Helle das stille weiße Antlitz mit den gesenkten Wimpern, das wie aus Marmor gemeißelt aussieht. Ihr Arm liegt regungslos in dem seinen, ohne Wärme, ohne Leben; er beugt sich vorwärts, um angstbeklommen zu lauschen, ob Lebensodem von diesen bleichen Lippen kommt.
„Wie Sie mich erschreckt haben, Fräulein Sybille! — Sie schritten so lautlos neben mir hin, wie ein abgeschiedener Geist," sagte er, als sie wieder in die Arkaden vor die Locanda traten, durch welche die Mondstrahlen herabglitzernd, an den schwanken Schlingpflanzen ihr phantastisches Spiel
trieben. Sie wandte den Kops ab, zog ihre Hand aus seinem Arm, verbeugte sich förmlich und sagte heiser: „Gute Nacht!"
„ILIieissiina notcko, —' 9, riveäorei," sprach er voll Innigkeit ihr nach, da sie von ihm sortglitt. Keine Antwort. Jedes weitere Wort schnitt sie kurz dadurch ab, daß sie in das Gasthaus huschte. In der Thür stand sie noch eine Secunde still und wandte das Haupt. Täuschte ihn das unsichere Licht oder standen ihre Augen wirklich voll Thränen? —
II.
In seinem arbeitsvollen Leben war es Professor Lenz seit Jahren zum ersten Mal widerfahren, daß er Nachts schlecht geschlafen, und die verlorene Ruhe durch spätes Aufstehen nachgeholt.
Signor Michele, der Wirth in höchsteigner Person war es, der ihn den Morgenträumen etwas unsanft entriß. Die Signora inglesa verlange stürmisch nach ihm. Die blasse Signora sei in aller Frühe schon hinauf nach Ana-Capri gestiegen, um sich dort ein Quartier zu suchen.
Eines Weiteren bedurfte es nicht. Er war mit beiden Füßen zugleich aus dem Bett und zwang den dicken Wirth, der noch Verschiedenes auf dem Herzen zu haben schien, mit einem vertröstenden: „Nachher — nachher" — sich znrückznziehen.
Lady Emmily flog ihm in einer sehr unvollkommenen Toilette: — Pndermantel und aufgelöstes Haar, — entgegen, als er bald darauf bei ihr anklopfte. Sie war außer sich „in llmtorilrs," versicherte sie und er glaubte es ihr. Nur die größte Aufregung konnte die prüde Engländerin vermocht haben, in diesem spitzendurchbrochenen Batistmantel und der ungeordneten Frisur vor ihm zu erscheinen. Sie machte ihrem Herzen weidlich Luft, indem sie das barbarische Land für all ihre Leiden verantwortlich machte, und Doctor Lenz und Sybille Werner herzlose Creaturen schalt, die sie ihrem Schicksal mitleidslos überließen.
Während sie unter krampfhaftem Schluchzen das alles hervorstieß, machte sie vergebliche Anstrengungen, ihr langes, schweres Haar vor dem Toilettespiegel aufzunesteln und ließ, verzagend und ermattend, endlich von dem nutzlosen Mühen ab.
„Die Hausmagd hier hat mir eine fürchterliche Wulst im Nacken zusammengedreht und einen silbernen Pfeil hindurchstecken wollen. Ich war eine vollkommene Vogelscheuche mit der Landesfrisur und Hab alles wieder aufgerissen, und nun bin ich hülflos wie ein Baby. Gütiger Himmel, ich Hab mich in meinem Leben noch nicht selbst frisirt und kann damit nicht vorwärts kommen. Wenn mir Einer doch Miß Sybille schaffte, die kann Alles, was sie will. Was ist es Euch aber,
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