Heft 
(1.1.2019) 10
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Ferdinand Lfey'l.

deutscheste Strom", wie alle seine Seitenthäler, seine Schönheit nur am User selbst, nur durch eine Wanderung über seine Höhen von Ort zu Ort, von einem landschaftlichen Bilde zum andern. Ge­hört doch auch das Leben am Rheine zu den Eigen- thümlichkeiten dieses poetischen Stromes, der nicht nur durch seine Rebberge und seine Burgenromantik glänzt.

Vielleicht nirgends sonst mehr bietet sich heute noch im Deutschen Reiche eine so wunderbare Er­innerung an die frühere Vielherrschaft im lieben Vaterlande, als hier an den Usern der Nahe. Durch eine zwanzig Jahre lang dauernde Herr­schaft Frankreichs am linken Rheinufer bildete sich eine sonderbare Gestaltung der Besitzverhältnisse hier heraus, zu deren Regelung selbst die Neuzeit es nicht ermöglicht hat, klare Bahn zu schassen. Vier deutsche Staaten: Preußen, Bayern, Hessen- Darmstadt und Oldenburg grenzen hier und so wechselt der Fluß ans dem linken User zweimal, auf dem rechten sechsmal den Herrn, und da Grenz­pfähle die Unterscheidung nicht überall sichtlich dar- thun, so weiß der weniger unterrichtete Reisende hier in der That nicht, ob er zeitweilig in Preußen, Bayern, Oldenburg oder in Hessen verweilt und nur die Ueberzeugung, daß gerade hier in der Nahe (bei Spichern) die ersten Würfel fielen, welche das Deutsche Reich endgültig einigten, vermag über diese Betrachtung tröstend hinweg zu helfen.

Auch Geologen finden hier besondere Erschei­nungen. Die Gegend, welche wir heute unseren freundlichen Lesern vorführen, ist ganz besonders hervorragend durch das Vorkommen von Porphyr, Mclaphyr und Diorit hat sich doch hier eine lange Zeit hindurch bis auf unsere Tage eine wich­tige Industrie entwickelt: die Achatschleiferei und die künstlerische Verwerthung und Ausbeutung des hier gefundenen und des zum Theil hierher ver­frachteten Gesteins.

Ein ernstes Völkchen ist's, das hier droben seine Heimath hat, ernster als der lebenslustige Nachbar, der Rheingauer. Und wenn auch ziemlich weit hinauf der Weinbau an der Nahe betrieben wird, fo hochwerthig ist weder der Ertrag der Rebe, noch so geisteserweckend der Traubensaft der Naheberge, wie jener des Rheines, denn der das Nahethal an der Mündung beherrschendeScharlachberg" ist ebenso sehr ein Rheinwein, wie er mit Fug und Recht auch als Nahewein bezeichnet werden kann.

Schlicht und einfach ist der Landmann hier, dennselbst gesponnen, selbst gemacht ist die beste Bauerntracht!" und von dem rastlos sich mühenden Arbeiter der Kohlenbergwerke, dem näch­sten Nachbar der Nahegegend nach den Vogesen zu, lernt der Bewohner des Mittel-Nahegebietes nicht eben die Ansprüche des Luxus und der Ueberfülle

kennen. Wohl bringt der Strom der Reisenden seit Erbauung der Rhein-Nahebahn mehr Leben und Bewegung an diese Ufer als ehedem, aber meist nur an einzelne Punkte, welche alsBäder- Ausflüge" gelten es sei denn, daß ein Mar- pinger Wunder, wie vor Jahren, ganze Ströme frommer und neugieriger Wanderer Nahe-auswärts zieht. Das seiner Zeit vielberufene Marpingen nämlich liegt in nächster Nähe des Nahegebietes, bei St. Wendel. Von Erscheinungen weiß man dort nichts mehr und die Gegend ist wieder der einstigen Stille und Einsamkeit verfallen. Genuß­reich gestaltet sich eine Wanderung jedenfalls für den Freund der Geschichte und den Landschafter, folgt man dem Fluß stromauf oder stromab. Klö­ster und Klosterreste (Disibodenberg, Abtei Spon­heim), Burgen und Burgreste (Waldböckelheim, wo Heinrich IV. gefangen saß, Rheingrafenstein, Ebern- burg, Koppenstein, Martinstein und Frauenbnrg), ja Schlösser wie Schloß Dhaun predigen Geschichte, zeigen zum Theil Erinnerungen an römische Zeit, an Alterthum, Mittelalter und neuere Zeit in wech­selnden Bildern.

Wenn wir heute das freundliche Oberstein ins­besondere berücksichtigen, so geschieht es eben des­halb, weil der Fremde sich in der Regel mit dem Blick vom Bahnhof aus genügen läßt wenige Minuten, die ihm der vorübereilende Bahnzug zum Verweilen gestattet. Daß dies ein touristisches Ver- säumniß, zeigt ein Blick auf das anschauliche Bild unseres Zeichners, welches uns in naturwahrer Darstellung eine Straße im Städtchen Oberstein vergegenwärtigt. Es sind nicht nur, wie der freund­liche Leser sieht, die älteren Städte in Mitteldeutsch­land oder am Rheinstrom, welche charakteristische Gebäudereihen sich bis heute bewahrt haben. Pa­läste find es freilich nicht, sondern schlichte und einfache Heimstätten, in denen die Speisekarte antistephanisch ausgedrückt: das Menu sich mit dem Sprüchlein wiedergeben läßt:

Morgens rund, Mittags gestampft,

Abends in Scheiben, dabei soll's bleiben,

Das ist gesund!"

Denn diese Wandlung und Abwechselung ge­stattet die Kartoffel dem biedern Bewohner an der Nahe allerwegen.

Das Städtchen selbst hängt gleichsam am Berge, der in steiler Felsenmasse hinaufstrebt, weithin ge­krönt von Waldung, so urwaldlich noch und im Allgemeinen so wenig gekannt, daß der Name des Waldgebirges fast befremdlich zum Ohre klingt: Der Winterhauch! Und in der That, der Name entspricht dem Charakter des rauhen Waldes. Der Name Jdarwald, nach dem Bache Idar, der ein Seitenthal der Nahe lustig durchläuft, klingt schon beruhigender und er ist in Wahrheit auch weniger