Heft 
(1.1.2019) 10
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Or. meä. Hermann Rlencke.

sie wieder geben, wo angesammeltes Capital nicht der einzige Maßstab der Schätzung ist. So sagt z. B. Feldmarschall Moltke in seinem Aufsatze über Polen: Die geringen Bedürfnisse machten, daß da­mals Armnth noch nicht mit Abhängigkeit verbunden war, der Umgang trug den Stempel der ursprüng­lichen Gleichheit re. In den antiken Staaten sah man die Sache so an, daß Reichthum nicht blos Rechte giebt, sondern auch Pflichten auferlegt, Pflichten gegen den Staat, in dem der Reichthum erworben oder vererbt wurde, Pflichten gegen die Staatsgenossen. Die Reichen richteten die öffent­lichen Feste und Schauspiele ans, waren verbunden die großen Kosten religiöser Ceremonien zu tragen re. und hatten schließlich auch ernstes Interesse an dem Wohlbefinden ihrer Sclaven. In unserem modernen Staate ist der Arme einfach ein Lump und der Reiche knöpft, nachdem er seine Steuern bezahlt hat, ängstlich die Taschen zu. Durch diesen Standpunkt aber des Geschäftes und Erwerbes ist eine allge­meine Verschiebung aller Verhältnisse eingetreten. Eine ganze Menge von Menschen sind nicht an ihrem Orte und in ihrem Berufe und an Stellen, wo der Gesichtspunkt des Erwerbes und Geschäftes gänzlich ausgeschlossen bleiben sollte, haben sich wackre Geschäftsleute festgesetzt, die da meinen, ein kluger und gewandter Mann könne Alles und wahrhaft Ehrliche und Einsichtige müssen in der Ecke stehen, weil ihnen diese Allerweltsgabe gelegen­heitsnützender Klugheit abgeht.

Die große Welt aber gewöhnt sich so leicht an diese Praktiken und an den verminderten Maßstab von Sittlichkeit, daß sie daran gar nichts mehr findet und nur den für einen Narren hält, der nicht mitmacht, gewöhnt sich so bald an die Corrup- tivn wie ein Kind, das einst stolz ans den Besitz eines Groschens war und einen Thaler für ein Capital hielt, sich allmählich gewöhnt, ein Goldstück so anznsehen wie früher einen Groschen. Man ist eben einmal drin und nun weiter mit dem Strome. Was will der grämliche Moralphilosoph! Leider stellen sich bald schlechte Folgen von dieser Mam- monsanbetnng ein.

Geld verdient man nicht mit Weisheit und edlem Charakter, sondern durch Klugheit und Schlauheit, gewiß auch sehr rühmenswerthe Eigen­schaften, soll man darnach nun aber wirklich allein den Menschen abschätzen? Soll das einzige Motiv sein die Furcht, im Alter verhungern zu müssen, wenn man sich sein ganzes Leben lang im Dienste der Menschen abgequält hat? Oder gilt es nicht mehr heute, daß das wahre Leben ist, sich aufzu­reiben im Dienste für die Menschheit und um die Wahrheit?

Calvins Gehalt belief sich jährlich auf 150 Fran­ken, 12 Mnaß Getreide und 2 Tonnen Wein. Als ihm

in der Theuernng der Rath eine Zulage anbot, wies er sie mit Entrüstung zurück. Ich arbeite nicht um des Gewinnstes willen, den ich von Euch haben will, sondern den Ihr von mir habeil sollt, und das war nicht ein Mann, der es konnte, weil er ja reich gewesen wäre. Heutzutage begreift man ge­meinnützige Bestrebungen nur noch bei einem reichen Manne, einem unvermögenden schiebt man sofort unlautre Motive unter, oder hält ihn für einen Narren, daß er nicht an sich und seine Zukunft denkt. Keppler ging barfuß, beinahe als Bettler, durch die deutschen Lande nach dem Reichstage, um sich seinen ihm vorenthaltenen Gehalt aus- znwirken. Waren das Lumpen? weil sie nicht einen Sack voll Geld hatten? Was hat Euch, die Ihr mit Eurem Christenthum immer so eifrig thnt, Christus gesagt, nicht: Es ist schwerer, daß ein Kameel durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher in das Himmelreich komme. Aber haben wir nicht die Kirche und das Christenthnm, die diesem Mammonsdienste entgegen treten, spricht nicht die Kirche gegenüber dem überwuchernden Geschäftsstandpnnkte von den Pflichten der Nächsten­liebe, von der Freudigkeit des Berufes, sagt sie nicht von jenen Geschäftsleuten, die aus Religion, Kunst und Wissenschaft nur ein Geschäft machen: Sie haben ihren Lohn dahin? Und haben wir den Juden gegenüber nicht auf unser Christenthum gepocht, mit seiner Lehre von der Nächstenliebe, den Juden gegenüber, denen wir Vorwersen, daß sie die Vertreter der Opportunität und des Mam- monismns seien, daß Geld ihr einziger Maßstab sei, Princip, Idee, Begeisterung nur ein sauberes Mäntelchen um den schnöden Mammon? Oder haben wir nur einen Prügeljnngen gesucht für unsere eigenen Cnltnrsehler? Was hassen wir eigentlich an den Juden? Nichts weiter als die letzte Con- sequenz unseres wirthschaftlichen Systems. Geld ist nun einmal die oberste Macht und ihr ent­scheidender Ausdruck, so muß das Volk, das seit Jahrhunderten auf den Gelderwerb hingedrängt worden ist, ausgeschlossen von idealen Würden und Ehren, jetzt in der Zeit des Mammonismns und Egoismus, in der alle idealen Werthe sich aufgelöst haben in eine Summe Geld, absolut das Ucber- gewicht haben. In unserem modernsten Staate haben die idealen Factoren gar keinen Raum mehr für Machtentsaltung. Im Grunde genommen hat der Oberkellner eines renommirten Restaurants mit 4000 Thaler jährlichen Einkommens im wirth­schaftlichen Leben mehr zu bedeuten, als der fein­sinnigste und höchstgebildete Schriftsteller, der als Mensch unendlich höher steht, der Portier einer Bankgesellschast mehr Macht durch sein Einkommen, als der officielle Geheimrath, der Bandwurmmittel­krämer mehr behaglichen Lebensgenuß und reichere