Heft 
(1.1.2019) 10
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Die Erziehung einer neuen Generation.

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sondern ihn weiter darnach zu beurtheilen, was er an Menschenliebe und Gemeinsinn leistet. In dieser Weise ging schon Jesus vor nahe 2000 Jahren über das mosaische Gesetz, die zehn Gebote, hinaus, die es sich nur angelegen sein lassen, den rohesten thie- rischen Egoisnrus zu bändigen und als positive Forderungen nur Gottesfurcht, Feiertagsheilignng und Elternliebe aufstellen. Christus drang diesen äußerlichen Geboten gegenüber auf die Güte der Gesinnung, Reinheit des Herzens und Liebe nicht blos zu den Verwandten, sondern zu Allem, was den Namen und die Gestalt des Menschen trägt. Wir modernen Menschen sehen einmal jedes Indi­viduum an als Blatt an dem Baume des Volkes und Staates und erklären seine Thaten aus dem Zustande der Sittlichkeit und Einrichtungen in dem­selben Staate, andererseits halten wir den, der nicht gegen die zehn Gebote verstößt, noch lange nicht für einen sittlichen und edlen Menschen, glauben sogar, daß er bei aller seiner Respectabilität ein recht arger und schlimmer Mensch sein kann in rohem Egoismus, wir fordern von ihm Bethätigung des Gemeinsinns und der Menschenliebe, der Liebe zu Allem, was da lebt. Die öffentliche Meinung von heute aber beurtheilt den Menschen nur darnach, ob er Geld hat und nicht bestraft ist. Wir fordern auch von einer modernen Sittenlehre, daß sie in der Erkenntniß und Beobachtung der Gesetze der Natur die Richtschnur für eine gesnndheitsgemäße Lebensweise finden wird, nicht ein Leben nach den Satzungen ferner Jahrhunderte uns aufzwingt, son­dern unser Leben nach den vernünftigen Principien einer naturgemäßen Erkenntniß einrichtet, nicht blos, damit es uns wohl gehe und wir lange leben auf Erden (4. Gebot), sondern weil diese Gesetze der Würde der Menschheit entsprechen und ohne sie ein menschenwürdiges Dasein unmöglich ist. Ohne ge­sunden Körper aber kein harmonischer gesunder Geist. Was ist denn Sittenlehre und Ethik weiter als Gesnndheitslehre des Geistes? Ein wahrhaft kör­perlich und geistig gesunder Mensch ist auch ein sitt­licher Mensch, wenn man unter Sittlichkeit eben nicht einen Hansen nnverstandner Regeln und Vor­schriften versteht, die aus einer anderen Eulturperiode stammen und für unser heutiges Leben nicht mehr passen. Die Gesundheit der Gesellschaft aber ebenso wie die sittlichen und körperlichen Gebrechen der­selben geben sich zunächst immer kund bei dein Weibe. Die Frau gebiert die neue Generation, von dem Manne bekommt sie Blut und Saft.

In unserer Zeit zeigt sich nun die Frau ihrem natürlichem Berufe, ihre Kinder selbst zu nähren, immer weniger gewachsen. Man lese nur in den Zeitungen Anpreisungen einer Unmasse von künst­lichen Kindernährmitteln, die zwar nach chemischer Analyse ziemlich der Muttermilch nachgeahmt sind,

aber einmal doch nicht ganz die Muttermilch ersetzen können, dann aber außerdem noch von gewinnsüch­tigen Händlern gefälscht werden. (Wenn einmal künstliche Nährmittel gebraucht werden müssen, so ist eine Mischung von guter Kuhmilch mit Wasser und Milchzucker immer noch das Rathsamste.) Die süßesten Beziehungen zwischen Mutter und Kind können bei Wegfall eigner Ernährung nicht auf- kommen, es fällt ein großer Theil der echten Mutter­freuden weg und leider oft oberflächlichen Vergnü­gungen zum Opfer. Woher kommt es aber, daß die Natur gerade in den wohlhabenden, gutgenährten und wohlgepflegten Ständen ihre Gaben den Müt­tern versagt und daß Landmädchen, die sich meist nur von Vegetabilien nähren, so reich damit ge­segnet sind?

Auf diese Fragen antwortet uns nun unsere Aus­einandersetzung in der Einleitung: 1) Einseitige Uebertreibnng der Verstandesbildung und des Wissens. 2) Falsches Glücksideal.

Auf Kosten der körperlichen Gesundheit, auf Kosten der Charakter- und Gemüthsbildnng erstrebt man ein Wissen in allen möglichen Fächern, ein Wissen, dem das weibliche Gehirn jetzt noch lange nicht gewachsen ist, vielleicht erst in Jahrhunderten. Geographie, Literatur, Physik, Sprachen, Chemie der Küche und Stenographie: Alles das geht bunt durcheinander. Dazu kommt noch das unselige Clavierspielen nicht einfacher schöner Melodien, die wirklich aufgeregte Nerven beruhigen können, son­dern halsbrechender Bravourstücke, oft noch dazu bei mangelnder Begabung. Durch diesen Zwang wird wieder das arme Gehirn zerqnält und in seiner Entwickelung gehemmt. Abgesehen nun davon, daß im Grunde doch nur unregelmäßige Bruchstücke dieser encyklopädischen Bildung dauernd sitzen bleiben, wird aber das Nervenleben überreizt auf Kosten der Ent­wickelung der vegetativen Funktionen, die bei dem weiblichen Geschlechts gerade recht in Freiheit sich schön entwickeln sollen. Das Gehirn enthält zu viel, Brust und Leib zu wenig Blut, und die kör­perliche Ausbildung wird dürftig. Es entsteht außer­dem eine Nervenüberreizung, oft auch ein zu frühes Erwachen des Geschlechtslebens. So schließt sich an das übermäßige Lernen als Folge an eine ge­wisseRastlosigkeit" auch im Vergnügen. Man will sich zerstreuen, amüsiren und nun beginnt die Hetzjagd durch Bälle und Concerte. Znm wahren Genuß kommt man da auch nicht, denn ein wahrer Genuß ist nur bei völlig harmonischer ruhiger Stimmung möglich. Die Großstädte aber, in die sich jetzt Alles, wasIntelligenz" hat, znsammen- drängt, mit ihrer fieberhaften Unruhe in Form von Schauerdramen, Ehebrnchskomödien, Trapez-und Ve- locipedskünstlern, amerikanischen Zwergen, nervener­schütternder und aufregender Musik, die Sinnlichkeit