Bergan und bergab.
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Freien, oft unter mehrstimmigem Gesänge, allenthalben mit guter Laune und aufgeweckten Sinnen. Hier ein Sekundenbild. Neben dem Hanse des Apothekers sitzt ein Bübchen vor einer Hausthüre und werkelt an einer Glas-Perlenschnur, zu deren Herstellung vier Perlenstränge künstlich verflochten werden müssen. Er mag erst sieben Jahre alt sein, hat es aber so eifrig, daß er keinen Augenblick anfschaut. „Wie viel zahlt man Dir für den Meter?" frage ich.
„Neunzig Pfennige."
„Und wie viel bringst Du in Deinen freien Stunden fertig?"
„Doch fast einen halben Meter."
„Nach der Schule?"
„Ja, die Schulzeit abgerechnet, also Nachmittags."
Er hatte mir Rede gestanden, ohne sich irgend stören zu lassen, und ähnlich stehen dem Frager Groß und Klein fast allenthalben Rede. Heber- Haupt ist dies erzgebirgische Völkchen weit findiger und geistig weit entwickelter als das Volk in Gegenden mit ausschließlich landwirtschaftlichem Betrieb. Wen immer man um eine Auskunft anspricht, er versteht rasch, was man will und worauf es ankommt, so daß es eine Freude ist, mit diesen Leuten zu verkehren.
Daß es ihnen, trotzdem die Löhne gedrückt sind, nie wirklich kümmerlich geht, verdanken sie wohl vorwiegend der Betheiligung aller Hausgenossen am Erwerb. Die Kinder mit ihren feinen Finger- chen überflügeln dabei zuweilen nicht selten die Erwachsenen. Es kommt vor, daß ein zwölfjähriges Kind, wenn es auf das „Posamenteln" gut angelernt worden ist, mehr Taglohn zu erarbeiten vermag als seine Mutter. Gegenwärtig gelten die Preise für sehr niedrig, durchschnittlich erwirbt eine fleißige Posamentlerin nur etwa eine Mark pro Tag. Aber weun Groß und Klein erwerben helfen, kommt doch schon ein artiges Sümmchen zusammen, und so sieht man denn auch in dieser ganzen Posamentler - Gegend nirgend wirkliches Elend.
Geklagt wird eigentlich nur über den jetzigen raschen Wechsel der Moden. „Fast alle zwei Monate," sagte uns ein gutunterrichtetes Weib, „giebt's ein neues Muster. Man hat so etwas früher nie gekannt. Niemand wagt auf Vorrath zu arbeiten." — Daneben thun die Elberfelder Maschinenspitzen den Klöppelspitzen des Erzgebirgs vielen Abbruch, aber wenigstens das eigentliche Posamenteln, so tröstet man sich, scheine Handarbeit bleiben zu können; die menschlichen zehn Finger seien dafür wohl nicht zu entbehren.
Die Zschoppau ist ein reißendes Wasser, und nach seinen von hohen Felsen oder Wald oder
Wiesenhängen bald grotesk, bald lieblich eingefaßten Ufern richten sich die meisten Spaziergänge der Badegäste. Die Wege dahin sind mannigfach, sie führen, wie erwähnt, einerseits über das Städtchen Wolkenstein, andererseits gelangt man vom Warmbad dahin, wenn man dem Lause eines Mühlenbaches folgt, oder wenn man in dem Schatten eines bis an's Ufer hinabreichenden Nadelwaldes wandert. Ein anspruchsloses Wirthshaus am sogenannten Floßplatz Pflegt durch seine liebliche Lage aus flüchtig Einsprechenden im Laufe der Kur getreue Stammgäste zu machen. Für Diejenigen, welchen der Einblick in größere Fabriken von Interesse ist, sind im Zschoppan-Thal eine Baumwollspinnerei und zwei Holzschleifereien zur Hand, eine der letzteren in der Nähe des romantisch gelegenen Dörfchens Scharfenstein, über welchem das alte Schloß Scharfenstein auf hohem Felsen thront. Dasselbe ist seit 1427 im Besitz Derer von Einsiedel und weiß ans der Zeit des Bauernkriegs, wie des dreißigjährigen Kriegs von argen Greueln zu erzählen. Es ist früher um seines alten Thur- mes willen von Freunden weiten Ausblicks mit Vorliebe besucht worden. Aus irgend welcher uns unbekannten Ursache wurde in neuester Zeit Niemand mehr hinaufgelassen, doch ist das sehr alter- thümlich belassene Schloß selbst von dem Baron Einsiedel nach wie vor bewohnt.
Ein ähnlich gut erhaltenes altes Bürogebäude ragt von Wolkenstein in den Himmel hinein; hier residirte einst zeitweilig Georg der Bärtige, auch Heinrich der Fromme, vorwiegend zur Herbstzeit, wenn das Waldhorn zu fröhlichem Jagen rief. Noch heute beruft sich ein Lehngut, ^ Stunden gen Westen gelegen und ein Zielpunkt manches Kurgastes, auf die Zeit, da es fürstliches Jagdschloß gewesen sein will und führt seinen Namen Heinze- bank auf eine Stelle zurück, wo Heinz oder Heinrich der Fromme gern ausruhte. Ein sagenreicher Gebetstock mit einem vergitterten Madonnenbilde steht denn auch in nicht allzu großer Ferne, wohl das letzte derartige Ueberbleibsel in Sachsen ans freiem Felde aus katholischer Zeit.
Aber unser Rnndreisebillet stellt uns noch einen Abstecher in's Böhmische, und zwar in's Stockkatholische zur Aufgabe, denn Mariaschein soll von uns berührt werden und es stehen für diesen Ort und sein Jesnitenkloster zwei große Wallfahrtstage bevor: das Fest des heil. Schutzengels und dasjenige der Geburt Maria's.
Es muß also geschieden sein. Da wir lediglich den Genuß landschaftlicher Reize, ländlicher Stille und schöner hoher ozonreicher Luft suchten und alles dieses mit Dankbarkeit vorgefunden zu haben bescheinigen dürfen, so wird das berühmte Teplitzer Thal schon einen Theil seiner Essen feiern
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