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Friedrich Friedrich.
Brot bekommt Dir nicht, uns schmeckt's gut und die da sind mit dem zufrieden, was ich ihnen gebe. Sie sind ja gesund und wenn wir erst drüben sind, dann werden sie Dir zeigen, daß sie verstehen, die Arbeit recht anzufassen."
Und die Kinder blickten ihren Vater zustimmend an; aus ihren Augen leuchtete die Hoffnung auf ein großes und neues und schönes Land.
Es reihte sich Bild an Bild und Gruppe an Gruppe.
Das tollste Drängen herrschte auf der Landungsbrücke. Noch immer strömten neue Auswanderer aus das Schiff, mühsam mit ihrem oft umfangreichen Gepäck sich durchdrängend; die Frauen riesen nach ihren Kindern, diese schrieen, wenn sie gestoßen oder getreten wurden. Manche, die auf dem Schiffe sich bereits ein Plätzchen errungen hatten, verließen dasselbe noch einmal, um für die weite Reise noch einige Einkäufe zu besorgen. Keiner nahm Rücksicht auf den Andren, jeder suchte so schnell als möglich sich durchzudrängen. Und mitten durch das Gewirr suchte eine Anzahl Lastträger, welche noch Kisten und Fässer auf das Schiss zu bringen hatten, sich einen Weg zu bahnen. Sie riefen wohl: „Platz da!" oder „Kopp by!" aber meistens hatten schon vor diesem Ruse die Köpfe der zunächst stehenden empfindliche Stöße erhalten. Schimpfen und Fluchen auf beiden Seiten. Aber das Ohr eines ächten Hamburger Lastträgers ist unempfindlich gegen eine ganze Fluth von Schimpfwörtern, wie er sich auch nichts daraus macht, wenn er Andren ein Loch in den Kopf stößt.
Dicht an das Gelände der Landungsbrücke gedrängt stand eine Frau von vielleicht fünsunddreißig Jahren und weinte heftig. Sie war nicht besser gekleidet als die meisten der anderen Auswanderer, aber sauberer. Es giebt Gesichter, aus dessen Zügen man auf den ersten Blick eine ganze Vergangenheit lesen kann, und auf dem blassen, hübschen Gesichte der Frau standen deutlich geschrieben viel Sorgen und Noth, viel Kummer und Herzeleid. Ihre dunklen, vom Weinen gerötheten Augen starrten schmerzlich und hoffnungslos vor sich hin.
Auch sie gehörte zu den Auswanderern, sie hatte die weite Reise von Oberschlesien bis Hamburg zurückgelegt, um mit diesem Schiffe nach Amerika zu fahren. Am Abende zuvor war sie in Hamburg angelangt, und während der Nacht war ihr Alles, was sie besaß, gestohlen, ihre geringen Ersparnisse, das Geld, mit dem sie die Ueberfahrt bezahlen wollte. Es war ihr nichts geblieben. Völlig verlassen stand sie in der großen, fremden Stadt da. Das war mehr als sie ertragen konnte, so Schweres sie auch in ihrem Leben erduldet hatte.
Vergebens hatte sie sich an den Agenten, der den Zug der Auswanderer bis Hamburg geleitet,
gewandt, vergebens hatte sie gebeten, ihr selbst den schlechtesten Platz aus dem Schiffe zu verschaffen, vergebens hatte sie gelobt, Alles zu ersetzen, sobald sie drüben Arbeit gefunden. Der Mann hatte sie kalt und grob zurückgewiesen, denn er hatte nur ein Herz für diejenigen, welche Geld besaßen.
Mit mehreren Bekannten aus ihrer Heimath hatte sie die Reise unternommen, dieselben waren indessen zu arm, um ihr helfen zu können.
Ein Mann stand neben ihr und suchte sie zu beruhigen. „Fasse Dich, Rosa", sprach er, „Du kannst ja später Nachkommen."
Die Frau schüttelte schluchzend mit dem Kopfe, sie hatte keine Hoffnung mehr.
„Ich habe ja nichts -— nichts," rief sie. „Ich kann nicht heimkehren, ich weiß nicht einmal wo ich die nächste Nacht ein Unterkommen finde."
Der Mann griff zögernd in die Tasche, denn er war selbst arm und mußte jeden Pfennig für seine Familie aus dem Schiffe Zusammenhalten. Er holte einen Thaler hervor und drückte ihn der Frau in die Hand.
„Nimm das", fuhr er fort. „Du wirst auch hier ein Unterkommen und Arbeit finden. Du hast Dich immer fleißig und brav gehalten, deshalb denke ich, wird es Dir an einem fremden Orte nicht mißglücken. Sobald ich drüben eine Stätte für mich und die Meinen habe, schreibe ich Dir, dann kommst Du nach und ich werde schon für Dich sorgen!"
„Dann bin ich längst todt, denn ich mag und kann dies Leben nicht länger ertragen!" rief die Unglückliche.
„Sprich nicht so!" mahnte der Mann. „Es hat Dich freilich hart betroffen und viel glückliche Tage hast Du nicht erlebt."
Die Arme schluchzte noch heftiger, denn nur trübe Erinnerungen waren durch die gut gemeinten Worte in ihr erweckt. Soweit sie zurückdenken konnte, hatte ihr ganzes Leben nur aus Täuschungen, Leid und Sorgen bestanden.
Sie war die Tochter eines armen Webers in Oberschlesien, eines Mannes, den Noth und Sorgen hart gemacht hatten. Schon als Kind hatte sie den ganzen Tag über Garn spulen müssen und wenn sie an die Zeit zurückdachte, erinnerte sie sich stets nur an Hunger und Schläge. Trotzdem war sie zu einem hübschen, blühenden Mädchen herangewachsen und dann war ein kurzer, schöner Frühlingstag für sie gekommen. Sie lernte einen jungen Mann, Andreas Sanders, kennen, der ihr seine Liebe gestand, und obschon er arm war wie sie selbst, ging ihnen doch ein Himmel des Höffens auf. Der junge Bursch war gesund und hatte kräftige Arme und er meinte, durch Arbeit und Fleiß müsse er sich überall eine Stätte