Nach fünfzehn Jahren.
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erringen können, an der er mit der Geliebten glücklich werden könne. Viel verlangten sie beide nicht vom Leben. Glück hieß für sie nicht mehr, als daß ihre Herzen fest und treu an einander hingen und daß sie durch ihre Hände im Stande waren, * die Noth fern zu halten. Jahre lang hielten sie treu zu einander, da bewarb sich ein Bauer um Rosas Hand und ihr Vater sicherte ihm dieselbe zu. Vergebens sträubte Rosa sich, den ungeliebten und weit älteren Mann zu heirathen, ihr Vater war .unerbittlich geblieben und hatte geschworen, daß sie nie Sanders Frau werden solle. Der Wohlstand des Bauern verblendete den armen Weber.
Trübe, böse Tage mußte das unglückliche Mädchen durchleben. Ihr Vater hatte sie durch Härte zu zwingen gesucht, er wies ihrem Geliebten die Thür und hielt sie wie eine Gefangene im Hause, damit sie Sanders nicht sehe. Mehr als einmal war sie nahe daran gewesen, sich aus Verzweiflung das Leben zu nehmen. Körperlich und geistig herabgekommen, hatte sie endlich jede Widerstandskraft verloren. Sie wurde die Frau des Bauers und an demselben Tage verließ Andreas Sanders seine Heimath, um nach Amerika auszuwandern.
Für die Unglückliche war kein Tag der Freude mehr aufgegangen. Ihr Mann, ein roher und dem Trünke ergebener Mensch, behandelte sie roh, sein Wohlstand erwies sich als Trug und mit seiner Wirthschaft war es von Tag zu Tag mehr rückwärts gegangen.
Rosa litt unendlich viel, zwei Kinder wurden ihr geschenkt, aber beide durch den Tod wieder genommen. Ihr Mann überhäufte seine Besitzung mit Schulden, sie wurde ihm endlich genommen und arm wie ein Bettler mußte er das Haus verlassen. Geschwächt durch den Trunk, unfähig zu arbeiten, sorgte die Frau für ihn jahrelang, und sie that es solange, bis der Tod des Mannes sie erlöste.
Sie würde das Alles nicht ertragen haben, Hütte die Erinnerung an den, den sie so innig geliebt und dem ihr Herz immer noch gehörte, ihre Kräfte nicht ausrecht erhalten. Obwohl sie von Sanders nichts wieder gehört hatte, konnte sie nicht glauben, daß sein Herz anders empfinde als das ihrige.
So waren fünfzehn lange Jahre des Elends geschwunden, als ein Auswanderungsagent in das Dorf gekommen war und eine ihr befreundete Familie überredet hatte, nach Amerika auszuwandern. Sie verkaufte ihr geringes Hab und Gut, entnahm ihre Ersparnisse und schloß sich der Familie an, um sie zu begleiten, denn der Glaube hatte sie nicht verlassen, daß sie drüben den wiederfinden müßte, dem ihr Herz noch immer gehörte.
Wohl theilte sie dies Niemand mit, aber ihr Herz hielt an diesem Glauben fest, wie an einem
II. 2.
Heiligthum und die Vernichtung dieser Hoffnung — es war ihre letzte — wirkte jetzt mit, ihren Schmerz zu erhöhen. Sie konnte dies nicht sagen, und das drückte ihr fast das Herz ab.
„Fasse Dich, Rosa," wiederholte der neben ihr stehende Mann noch einmal. „Glaub' mir, es wird keinem Menschen mehr auserlegt, als er tragen kann. Kümmerniß hast Du genug in Deinem Leben kennen gelernt, da darfst Du hoffen, daß auch für Dich bessere Tage kommen werden."
Was sind Worte für ein verzweifelndes Herz! Weniger als ein Strohhalm in schäumender Brandung, weniger als ein Regentropfen für eine ans- gedürrte Landschaft! Die unglückliche Frau hörte die Worte kaum, denn sie fühlte sich unsagbar- elend.
„Platz da! Platz da! Schert Euch zum Kuckuck, aber versperrt hier den Weg nicht!" rief ein Lastträger mit lauter Stimme und drängte die unglückliche Frau unsanft an das Gelände.
Rosa ließ die vor die Augen gepreßten Hände sinken; sie blickte einen dicht vor ihr stehenden, mit schwerer Kiste beladenen Mann in die Augen, sie wollte zurückfahren, das Brückengeländer gestattete es nicht, ein halblauter Aufschrei entrang sich ihrer Brust.
Und auch der Mann war stehen geblieben, sein Auge war ans die Frau geheftet, seine Gestalt schien unter der schweren Last zu wanken, seine Hände konnten sie nicht länger halten, er ließ sie von der Schulter auf die Erde niedergleiten.
„Rosa — Rosa!" rief er.
„Andreas!" erwiederte die Frau und drohte ohnmächtig niederzusinken.
Der Lastträger fing sie mit seinen Armen auf und rücksichtslos sich Bahn brechend, trug er sie von der Brücke an das Ufer und von dem Userin eine nahe gelegene Restauration, in der die Matrosen und Lastträger verkehrten. Auf einer Bank ließ er die ihm leichte Last nieder. Als die Unglückliche zu sich kam, blickte sie in ein paar liebe und treue Augen.
„Rosa, wie kamst Du hierher?" fragte der Lastträger, der kein Anderer war als Sanders, den sie in Amerika wiederzufinden hoffte, indem er die Hand der Frau fest in der seinen hielt. Mit stockenden, abgerissenen Worten erzählte die Wieder- gesundene, daß es ihre Absicht gewesen sei, nach Amerika ausznwandern, daß ihr indessen in der Nacht zuvor Alles geraubt sei.
„Und Dein Mann?" fragte Sanders.
„Er ist seit Jahren todt."
„Todt! Und Du bist frei?"
Ja!"
„Frei — Frei!" jubelte die kräftige Gestalt des Mannes mit den ehrlichen Augen aus und seine
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