Ihr Geheimnis;.
483
erreichte. Welch zauberhafter Anblick! Wie konnte er es ihr nachempfinden, daß sie sich mit ihrer Künstlerseele in diese grünende blühende Wildnis;, unter die von Reben bis in die Kronen umwundenen Oelbäume, in eines dieser malerisch in Gürte;; zerstreuten originellen Hänschen geflüchtet, — die unaussprechlich heilige Stille hinträumender Natur um sich, das Meer in unbegrenzten Fernen zu ihren Füßen, singende, heitere Kinder der Natur als einzige Gesellschaft, die in fleißiger Hand die Spindel drehen oder den Garten bestellen. Die Stadt der Frauen, in der eine einsame Frau sich heimisch fühlen muß.
Und er fand sie — die Viertelstunde auf seinem Chronometer war noch nicht zur Hälfte abgelaufeu. In einer offenen Gartenkammer, im Nahmen von Grün, Weinlaub und rosenrvthblühendem Oleander, wie ei» schönes Bild anzuschauen, mit dem Diadem von Epheuranten um den klassischen Kopf geschlungen, so saß sie auf leichten; Binsenstuhl a»; hölzerue» Tisch und stizzirte fleißig die bildschöne Spinnerin vor sich, die goldgelbe Seide mit flinker Hand anfspulte nnd leise süße Melodien dabei vor sich hinsnmmte, an deren brännlicheni Hals rolhe Korallen nnd Goldgeschmeide funkelte, und deren dunkles Haar der silberne Pfeil im Nacken zusammenhielt. Cs war ein Bild, an dem das Auge des Berliner Professors sich kann; satt sehen konnte, dessen holde Ruhe aber sein eoneentrirtes Anstauuen schnell genug stören mußte.
Sybille hob den Kopf, magnetisch von seine»; Blicke angezogen, mit einem leisen Schrei. War's Ueberraschung, Schrecken oder gar Unmuth? Sie ließ den Stift aus den zitternden Händen fallen und sprang auf.
Mit dem Hut in der Hand stand der Professor vor der offenen Gartenkammer, von der dunkeläugigen Capreserin in naiven; Staunen angestarrt und wagte keinen Schritt vorwärts in dieses Hcilig- thuiu der einsamen Frauen; ja, seine Stimme selbst wollte versagen vor stürmischem Herzklopfen, als er seine Botschaft von Lady Emmily ausrichtete, „der Gesandte einer höheren Macht." Sybillens erglühtes Antlitz hatte die blasse Farbe nnd das schwermüthige Lächeln wiedergewonnen, als sie den breiten, schattenden Strohhut nussetzte, dem schonen Landeskinde eine glänzende Münze in die kleine braune Hand drückte nnd diese herzlich schüttelnd mit einen;: ,,a. rivcmckiec!" schnell von ihr Abschied nah;;;.
„Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Herr Professor."
„Wollen Sie mir nicht eine kurze Ausruhe nach den; beschwerlichen Aufstieg gönnen?"
„Ich weiß nicht," meinte sie zögernd, „ob die Concetta, deren Geliebter auf den Korallenfang nach Afrika gezogen ist."
„Lassen Sie nur — die Concetta. Wir wollen lieber in Gottes freier Natur uns ein Ruheplätzchen suchen."
Noch ehe sie sich, durch mehr als einen schen- sragenden Blick, ein leises zagendes Kopfschütteln weigern konnte, hielt er sie bei der Hand und zog sie mit sich.
„Hier entrinnen Sie mir nicht," scherzte er graziös. „Um dieses grüne Stück Erde zog die Schaumgeborene selbst ihr magisches Band. Kennen Sie die Entstehungssage von Ana Capri, Sybille? Hören Sie nur: Ein junges Paar, das sonst nicht Glück noch Stern hatte, floh hier hinaus in die menschenöde Verlassenheit und baute sich sein Nest hier am Fuße des Solaro. Andere Liebespärchen sind nachgesolgt nnd so entstand mit der Zeit diese der Liebesgöttin geweihte Colonie. Ist das nicht eine reizende Mythe, Sybille? nnd glauben Sie nicht, daß es wie Liebe nnd Trunkenheit ringsum in der Luft liegt, daß der kleine, pfeilaussendende Gott noch heute diesen; und jenen; zauberbeschwingte Flügel leiht, um die steilen Stufen trotz Mittagsglnth und sengender Sonnenstrahlen zu erklimmen, einem Wesen folgend, das ihn mit Macht nach sich zieht." Er beugte sich leicht hinab zu der hochschlanken Frau neben sich; ihr aufgespannter Sonnenschirm hielt ihm aber ihren Gesichtsausdruck verborgen.
„Hören Sie, Sybille, mich packt ein wahnsinniges Verlangen, mit Ihnen allein, ganz abgeschnitten von Allem, was Mensch heißt, dort über der Erde gleichsam zu schweben. Haben Sie Kraft und Math, wollen nur hinauf?" Er deutete empor nach dein Gipfel des Solaro.
Einen Augenblick schien sie zu schwanken, zu zaudern, dann mußte sie etwas vorwärts drängen, das stärker war, als alle Vorsätze. — Sie sagte leise: „Ja."
Auf pfadlosem Felsen klommen sie, Einer sich an der Hand des Anderen aufschwingend, mühsam empor zum Kamm des Berges. Ueber rothbraun wucherndes Haideland wanderten sie Hand in Hand, dann weiter, zwischen bizarr und wildzerklüfteten Kalk'steinblöckeu, umschwärmt von Cieaden und schillernd sich hinwindenden Lacerten, bis hin an den äußersten Rand, wo über schauerlichem Absturz eine Eremitenklause am Felsen klebte und unten in den Schluchten geheimnißvolle Schatten blauten. Um die Eremitage zog sich ein wohlgepflegtes Felsgürtchen. Todtenstill, wie ausgestorben lag Alles da.
„Nur Du und ich," murmelte Georg Lenz wie traumverloren.
Die Thüren in der Einsiedelei standen west offen. Ueber einem mit wilden Blumen malerisch geschmückten Hansaltar, hing ein kunstloses Mutter-
61 *