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(L Zoeller-Lionheart.
Dann saßen sie Beide in der zierlichen Barke und schaukelten hinaus auf das fast unbeweglich stille, in rosenrothe Gluth getauchte Element.
Sybille hatte sich mit einer gemurmelten Entschuldigung von dem Diner des jungen Ehepaares befreit und war hinausgeglitten unter die Arkaden.
Rastlos mit über der Brust verschlungenen Armen wandelte sie eine Weile da auf und ab. Die langen Rebenranken zitterten über ihrem Haupte, die rosige Abendgluth verglomm; wie gestern trieb der Mond fein neckisches Spiel in der grünbedachten Säulenhalle. O welch ein Abstand zwischen Gestern und Heute — ein Menschenalter lag dazwischen. Gestern war sie dein lockenden Glück nur ansge- wicheu, sich und ihm Zeit lassend zu reiferer Prüfung. Gestern noch hatte sie hoffen dürfen, euren Pakt zu schließen mit den finsteren Schicksalsmächten, sich möglichen Falls losznkanfen durch ein offenes Geständniß. Vielleicht dachte der Mann groß gering, sie trotz alle dem und alle dem an sein Herz zu nehmen; sie entsühnt zu sehen von der schweren Schuld, einer Welt und ihren Vornrtheilen Trotz zu bieten, im Stolz seirws Selbstbewusstseins. Heute — heute — o großer Gott, heut stand das Grauenhafte ja gerade zwischen ihr und ihm.
Ja, sie liebte ihn, wie das denkende reife Weib derr Mann liebt, lieben muß, um seiner reichen Innerlichkeit willen; es gab kern Lvsreißen mehr, wie bei der tändelnden Jugend, kern schnelles Vergessen und Aufgeben — sie riß sich von ihm mit ihrem Herzblut. Er hatte die Arbeit, die ernste, wichtige, mit dem Leben aussöhnende Arbeit und
sie?-
Und sie hatte damals verzweifeln wollen, wo sie ein Heim, die Achtung der Menschen, eine Zukunft besaß? O, was war das Leid von damals gegen die durchwühlende Verzweiflung des armen Parias, der das Rettungsboot mit eigenem Fuß von sich stoßen und irr derr brandenden Wogen weiter ringen muß, bis — bis er sirrkt.
Schneidend lachte sie auf und ihre Ellbogen ans die steinerne Balustrade gestützt, starrte sie mit heißen Augen ans das phantastische Weben des Mondlichts.
Schneeblaß lag es dort ans den Terrasserrer- hvhungen des Gartens, wie eirr Leichentuch spannte es sich über die Rabatten und wie einzelne Grabhügel hoben sich die ferneren Garten-Partien in dem spukhaft weißen Licht.
Sybille schauderte. Ihre Erinnerungen führten sie körperlich zurück auf den verschneiten Friedhof, den einsamen, todtenstillen, auf dem das siebenzehnjährige Kind und die hungrige Spatzenwelt in den kahlen Baumüsten die einzigen lebenden Wesen waren.
Fern vom Dorf durchleuchteten den Schnee
einzelne Lichter. Schars und klar durchfnnkelten die Sterne die strenge Winterkälte. Sie hatte da gelehnt, die heiße Stirn gegen die durchbrochene Schmiedeeisenthür des Erbbegräbnisses gepreßt in heißer Sehnsucht nach der, die man gestern da hinein getragen, in heißer Sehnsucht nach einem Anshören des bohrenden Schmerzes in der jungen Brust. Der Abend war hereingebrvchen. Der Sturmwind raschelte unheimlich in dein dürren Geäst der Trauerweiden, die schneebelastet ihre langen Arme senkteil; er wühlte in ihren Kleidern, er warf schmerzhaft prickelnde Eisstückchen in ihr Gesicht, wirbelte die weißeil Decken von den Gräbern ans, stürmte sie dort, nur ein paar Schritte weiter, zu Bergen ans, riß die trockenen Todtenkränze von den Kreuzen und schleuderte sie ihr zu Füßen und jetzt ging niederstüubendes Schneewehen von den Bäumen über sie hin.
Es packte sie Grausen. Wie lange wohl würde der entsetzliche Kampf dauern, bis ihr die Angen sterbensinüde zusieleu, die weiße, weiche Decke sie enthüllte und man sie hiiienitrüge zu ihrem lieben Mütterlein? fragte sich die ängstlich klopfende Kiuder- brilst. Schauerlicher weht der Wind und ächzen die dürren Zweige, grauenhafter zuckt das fahle Mondlicht über die schwarzen Kreuze und Gräber hin, die jetzt sich zu bewegen, zu wandern scheinen.
Gräßlich schreit das Kind in seiner Herzens- livth: O Erlösung! da antwortet eine vertraute, altvertraute Stimme in nächster Nähe, ganz angstvoll rufend: „Sybille, liebe Sybille, Kind, wo sind Sie?" und da spricht eben dieselbe altvertraute Stimme tief erschrocken: „Herr des Himmels,
Sybille, Cvmtesse, ist es möglich, sind Sie es wirklich?" Die Erinnerungsbersuukeue führt empor. Wie lebhaft man mit offenen Augen träumen kann! Glaubte sie doch eben deutlich die Stimme der vertrauten Kammerfrau ihrer seligeil Mutter hier gehört zu haben und da — da — da steht sie noch immer, die dunkle Erscheinung vor dem Sänlen- gang, die breite wohlbeleibte Gestalt und nun wendet sie den Kops dem Licht zu, es ist das breite gut- müthige Gesicht ihrer treuen einzigen Freundin, der Schützerin ihrer Jugend — bis —
Lautweinend sinkt Sybille ihr im nächsten Augenblick an den Hals, und die ältliche Frau streichelt ihr die nassen kalten Wangen mit den runzligen Händen, wie sie das einstens mit der kleinen weinenden Sybille gethan, und der Diener von Lady Emmily steht verwundert dalieben.
Die ältliche Frau erlangt zuerst ihre Fassung zurück. „Gehen Sie nur voran, Sir!" sagte sie in schlechtem Englisch zu dem respektvoll Wartenden. Und nun silld die Beiden allein und sie drückt lind küßt Sybillens schlaffe Hände ohne Unterlaß.
„O Comtesse, wie ich glücklich bin." Wir