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L. Zoeller-Lioicheart.
Nun lvar Sybille wieder allein, allein mit ihren futternden Gedanken. Was nun? Nun gab es einen Zweiten hier, der mit seiner treuen Anhänglichkeit sie quälen wurde und jede Stunde der schrecklichen Vergangenheit ihr wieder und wieder bar die Augen rufen. Und wird unverbrüchliches Schweigen wirklich zu erhalten sein. Hatte der Diener sie nicht in inniger Umarmung gesehen, wurden nicht Fragen an sie, an Frau Schneider herantretcn? Und wenn sie answichen, würde man nicht Argwohn schupfen, ihr und jener Getreuen mit Mißtrauen zuletzt begegnen; und wenn er ernstlich in sie drang, würde sie ein resolutes Nein finden und wenn er dann erfuhr, daß —-
Sie bedeckte sich schaudernd die Augen. Wo gab es ein Entrinnen ans der Wirrsal? O wenn sie doch der Qual entfliehen konnte in das Nichts! —
Ihre Augen begannen irrsinnig anfznglühen. Was dem Kinde so leicht gebäucht, diese Flucht dahin, von wo es kein Zurück giebt, sollte die entschlossene Frau davor znrückbeben? Der letzte Schritt die Erlösung! —
Sie schritt nicht mehr ans mit ihrem gewohnten schwebenden Gang, sie flog den Abhang hinab zur Marina. Den ersten besten Schiffer rief sie mit keuchender Stimme an. Mit einem Satz stand sie in der leichten Barke, die unter dem Anprall wie eine Nußschale hin- und herschwankte.
„Wohin, Signora?"
„Hinaus!"
„Um die Insel herum oder ins offeile Meer?"
Eine Erinnerung aus der Kindheit tiberkam sie. War's ein Märchen gewesen, war's die murmelnde Stimme ihrer Großmutter vor dem Schlafengehen: „In der blauen Grotte macht' ich, wenn ich sterben muß, die Augen schließen."
„Blaue Grotte," befahl sie kurz.
Gehorsam legte der Mann die Ruder aus, von denen es in rhythmischem Heben und Senkel: in sprühenden Silberfunken tropfte. In breiter: Flächen lag golden das Mondlicht auf den Wassern, wie die lockende Stimme der Sirene schwebte in Aeolsharfenklängen der Gesang der Meervögel über ihrem Haupte hin.
In ihr wurde es stille, wundersam stille; die unbestimmte Sehnsucht schwieg; — die Weltverlorene zog der himmlischen Heimath zu. Märchenhaft leuchtete das Meer, eine Märchenwelt that sich dem staunenden Auge auf, da sie in die Grotte einschifften.
Ja, hier versinken — vergehen!
Nacht und Mond und Sternenlicht war entschwunden, blaues Dämmern, blaue Fenerlichter umlohten sie, wie Altarflammen das geweihte Opfer.
Leise schwellen die Wellen dahin bis zu den blauüberleuchteten Wänden, die sich zu Feenpalästen
ansbanen. Aus der Tiefe steigt und perlt und quillt es wie tausend farbige Edelsteine in geheim- nißvvllein Regen. Heilige Stille wie in: Reich der Schatten, andachtsvolles Rannen und Schweigen, nur die Wasser kichern und plätschern leise und regen sich phosphorglühend um die Felswände.
Horch! naht da nicht ein neuer Rnderschlag? —
Eil Dich, Sybille, wie lockt es Dich unwiderstehlich in die flammende lohende Flnth, löse Dein irdisch Wesen auf in diesem zauberischen Lichtmeer.
Der Fischer bückt sich eben, um eine der mitgebrachten Fackeln zu entzünden, und mit der qualmenden Lohe die magische Beleuchtung zu erhöhen.
Sie breitet die Arme aus, den Phosphorflnthen entgegen, sie gleitet über den Bootsrand hin, die Wasser nehmen sie ans. — Um die Versinkende rollen glühende Fenerströme, sie selber strahlt überirdisch, wie von innen erleuchtet in der blauen Fenerfluth. Sie sinkt — sinkt — jetzt gleiten
schon die Schultern herab in das ölig schwere Wasser, wie der Kops einer Heiligen schwebt ihr nmlenchtetes Marmorgesicht noch über der Flüche.
Da packt es sie mit festen starken Armen und reißt sie empor, und vor schreckhaftem Staune:: versucht sie keinen Widerstand, da sie in: Nachen an eine schlagende Brust gerissen, von stürmischem Munde geküßt und wieder und wieder geküßt wird und stammelnde Lippen ihr, zu Tode ge- ängstigt, das Versprechen abringcn, nie wieder Hand an sich zu legen.
Sie schwört besinnungslos. Der Tod will sie ja nicht, selbst die blaue Flnth trug sie sanft wie auf Mutterarmen empor. Sie halten sich umfangen in stummer Seligkeit. Nun versinkt die Märchenwelt mit ihren lohenden Fenerströme::, über ihnen funkeln die ewigen Sterne. Gedankenschnell trägt der Nachen sie heimwärts. Da liegt in: Nachtschweigen die Marina.
Im träumerischen Schweigen der Nacht wandeln sie fest umschlungen den blühenden Weg hinauf zur Loeanda. Mit festem, stummem Händedruck nehmen sie Abschied für diese Nacht — Georg Lenz und Sybille Werder.
Und wieder, da kaum der Tag graut, regt sich's an der Marina. Eine vereinzelte Barke verläßt das Ufer. Ein Schisser und eine Frau sitzen darin. Verhüllt, grau und steinern sitzt sie, wie die Norme am Steuer und rührt sich nicht. Die Frau hat das Gesicht jetzt, da das Land entschwindet, in den Händen Hegraben und weint — weint — weint ihre arme Seele aus. Ueber das Meer weht es kühl hin; -- der Luftzug steigt hinaus bis zur Loeanda. Er raschelt und.zerrt an dem Weinlanb um Professor Lenz offenes Fenster, er läßt die Ecken des weißen vom Stein beschwerten Papier-