502
M. v. K.
„Wem denn? — Allons, nun weinen wir, Na- äsmoisslltz! Sie haben es durchaus auf diese schönen Augen abgesehen. I'i äone! was mich betrifft, so hasse ich nichts mehr, als Weiberthränen -— sie machen mich felsenhart."
„Nein, nein," ries die Kleine, ihm mit gefalteten Händen nähertretend und gewaltsam die Thränen bekämpfend, „Sie sind gewiß nicht so hart und böse, wie die Leute sagen, nicht grausam und gottlos, wie alle Welt behauptet! Sie sind auch nicht freiwillig gekommen, nur im Namen des gewissenlosen Eroberers, um das Blut und Mark dieses armen Landes auszusangen und uns alle zu Franzosenknechten zu machen. Wenn Joachim Stahl wieder so etwas sagt, werde ich es nicht leiden."
Der französische Sieger ließ sich in einen Sessel fallen und Mit aus die Kniee gestemmten Händen und weitgeösfneten Augen betrachtete er das vor ihm stehende, eifrige Kind, dem die Gluth der Beredt- samkeit auf den Wallgen lag und aus den feuchtglänzenden Blicken sprach.
„Norä äo ina vi.6, dies ist die seltsamste Bittstellerin, die ich jemals sah!" —
„Joachim sagt, es würde der Tag der Vergeltung kommen, und dann würde er ein Mann sein und, wie alle Söhne des Landes, nach dem Schwerte greifen und nicht rasten und ruhen, bis der letzte Franzose vom heimischen Boden vertilgt sei" —
„M! dieser Joachim verspricht viel — echte Gymnasiasteu-Renommage! Doch ich fürchte, wenn es zur That kommt" — —
„Er ist Tertianer — und er hält immer, was er verspricht," unterbrach sie ihn wichtig. „Doch wenn er die Franzosen aus dem Lande jagt, werde ich ihn bitten, daß er gut mit Ihnen ist, wenn Sie gut mit Jenem sind."
„Oho! Doch eine rettende Aussicht für die Zukunft," meinte der General, höchst belustigt über die Ernsthaftigkeit der kleinen Sprecherin. „Eine Schmeichlerin sind Sie nicht, nia jolio potito! Sie führen ja einen gewaltig drohenden Schlag mit der Bitte zugleich. Das ist deutsche — Bärenhaf- tigkeit, — eine Französin würde ihre Sache ganz anders anfangen. Aber ich möchte nun wohl hören, wem diese sonderbarste aller Fürsprachen eigentlich gilt?"
„Errathen Sie es nicht, Herr General? — Dem armen Legrand."
Einen Augenblick guckte ein heftiger Unwille über das von Leidenschaftlichkeit durchfurchte Gesicht des Marschalls, einen Augenblick schien es, als wollte er der kleinen Bittenden ohne Weiteres den Rücken wenden — doch ein unwillkürlicher Blick in das voll schüchternen Vertrauens aufwärts gerichtete — und er bezwang sich.
„Legrand!" wiederholte er mit unterdrücktem
Zorn. „Der alte Tambour, der rebellische Taugenichts, der morgen vor ein Kriegsgericht gestellt und zu zehn Jahren Ketten verurtheilt wird?"
„O, Sie werden es nicht zugeben! Er würde es nicht überleben, der arme gute Legrand! — Bitte, geben Sie ihn frei!"
„Wissen Sie auch, daß Sie sehr — inconseguent sind, Mademoiselle?" antwortete der General, unwillkürlich wieder lächelnd. „Eine schlechte Patriotin, für den Feind ihres Vaterlandes zu bitten, den Ihr jugendlicher aäoratour so schonungslos zu vernichten droht. Wie kommen Sie dazu?"
„Weil Legrand mein Freund ist — mein lieber, alter Freund, wie es keinen besseren giebt, — und für seinen Freund, muß man doch bitten, wenn es auch nur ein Franzose ist! Er liegt in unsrem Hause in der Charlottenstraße in Quartier und Sie sollten nur einmal sehen, wie gut er zu mir ist!
Zuerst, als er kam, fürchtete ich mich sehr vor seinein gewaltigen, grauen Schnurrbart und seinem narbenzerrissenen Gesicht und versteckte mich hinter Joachim Stahl, der mich vor ihm schützen wollte. Aber wie bald lockte Legrand mich hervor! Er verfertigte mir wunderhübsche Spielsachen und hielt mir seine große Trommel, daß ich sie herzhaft schlagen konnte. »Sie hat ihr Bnnnn — Bumm gebrummt bei Lodi — Abnkir — Marengo — Austerlitz«, sagte er, »und ich liebe sie viel — aber so liebe kleine Kinder wie Dich, Toinette, lieb' ich noch ein ganz kleine Wenik mehr.« —
Ich heiße Antonie Normann, Herr General, aber Legrand nennt mich immer Toinette, — dies ist sein Lieblingsname."
„Toinette!" wiederholte der Marschall mit eigeii- thümlich gedämpftem Ton. Er beugte sich in den Sessel zurück und beschattete die Augen mit der Hand.
„Dies ist auch mein Lieblingsuame. Sprich weiter, Toinette."
„O, ich habe auch noch viel zu sagen!" Und die kleine Hand mit kindlichem Zutrauen aus die Lehne seines Sessels stützend, fuhr sie fort:
„Jeden Morgen brachte Legrand mich zur Schule und erzählte mir unterwegs so viel schöne Geschichten, daß der Weg uns immer zu kurz wurde. Ja, da kamen die buntesten Sachen heraus — lauter Kriegsbagage, wie Legrand meinte. Von dem kleinen Vogel hörte ich so gern, den er einst in dem vom Feinde verlassenen Dorfe, in einer halb eingeschossenen Bauernhütte, mitten unter Todten und Trümmern gefunden. Der kleine Sänger kauerte gar kläglich in seinem Käsig, dem Verschmachten nahe, — und war's groß zum Verwundern, daß er, als der gute Legrand ihm Wasser und Futter gab und ihn in seinen Händen erwärmte, zutraulich auf seine Schulter flog und nicht