Der tobte Tambour.
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wieder von da oben herab und von ihm fort wollte? Und selbst wenn Legrand die rsvsills schlug, saß das Vögelchen auf seiner Schulter und fürchtete sich nicht, sondern schmetterte hell und lustig sein Lied dazwischen. Und als es weiter ging — mein
Vögelchen ging auf dem hohen Sitze mit. Wurde es ihm zu kalt, kroch es in Legrands Bärenmütze und saß dort im warmen Nest, — bis einmal die Kugeln so dicht geflogen kamen, daß sie dem Graubart die Mütze vom Kopfe rissen. Da mußte der Vogel seine Anhänglichkeit mit dem Leben bezahlen.
Legrand trauerte um ihn. »Es lebt sich so schwer von ,1a Zlyirs' allein,« sagte er, »ein ganz klein Wenik will das Herz auch haben.« —
Und dann hat er mir so deutlich beschrieben, wie die Sonne von Austerlitz aussieht."
„Die Sonne von Austerlitz, Toiuette?"
„Roth, furchtbar roth — wie Blut und Feuer zugleich. So nahe wie Legraud hat sie nämlich keiner gesehen. Denn grade als sein kleiner — großer Kaiser den Arm erhob und ihnen zurief: Seht da — die Sonne von Austerlitz! — riß Legrand eine Kugel die tiefe Wunde über der Stirn, daß Blut seine Augen füllte. Doch er schritt kerzengerade voran und trommelte immer fort, und es war ihm, als schritt er durch ein rothwogendes Meer, gerade in die flammende Sonne hinein — bis er den Feuerglanz und das blutige Strahlen nicht mehr zu ertragen vermochte und mit der zerschossenen Stirn zusammenbrach. So scheint die Sonne von Austerlitz — die Siegessonne! —
Vieles noch hat er mir erzählt — und wenn die Schule aus war, da stand er schon vor der Thür und streckte mir seine Hand entgegen, um mich nach Haus zu bringen. S'ist wahr, sie war recht groß und rauh, die Hand Legrauds, — doch sie faßte mich so sauft — und er sagte, ich hüpfte so froh wie sein Lenzvögelcheu neben ihm her. Die anderen Kinder lachten hinter uns und schimpften ihn »Narbenkvps« und »Bäreumütze«, — aber dann wurde ich so böse, daß sie es bald unterließen. Und auch Joachim wurde ihm gut, und wenn er vom Nachbarhofe über den Zaun stieg und zu uns unter den Flieder schlich, hörte er Legrands Geschichten viel lieber zu, als er es sich merken lassen wollte. Dieser brauchte gar nicht mehr sein wunderliches Deutsch mit uns zu reden — wir verstanden sein Französisch bald ganz gut. — Nur eiu Mal, ein einziges Mal, war ich sehr erzürnt über ihn."
„Und was störte diese insrvsillsuss Freundschaft, Toinette?"
Er hatte unbeweglich auf seinem Platze verharrt, den zur Seite geneigten Kops aus den Arm gestützt — der glorreiche Lenker so vieler Schlachten, so großer Kriegsgeschicke, — hörte er wohl das
bittende Sümmchen, das, wie der Morgenhauch des säuselnden Heidegrases, aus liebebewegtem Kinderherzen aufstieg — und drängte sich das liebliche Bild, der an der Hand des schlachtenverwitterten Alten dahin hüpfenden Kleinen in seine blutig herauf dämmernden Zuknnftspläne?
Sie näherte sich vorsichtig seinem Ohr und flüsterte so leise, als sollten es außer ihm nicht einmal die Wände hören:
„Er war betrunken! Er kam nach Haus und taumelte und lallte, um sich herum lärmende Buben, die ihn verhöhnten — oh — wie that es weh, ihn so zu sehen! Ich versteckte mich vor ihm, und er mußte seinen Rausch erst ausschlafen. Danach aber schalt ich ihn tüchtig ans und wollte gar nichts mehr von ihm wissen, — und er nickte nur immer, wenn ich ihn recht schlecht machte — und dann —"
„Und dann, Toinette?"
„Daun haben wir bitterlich mit einander geweint und — hatten uns noch viel lieber, als zuvor!"
„S'ist das Elend, Toinette," sagte Legrand, „daß ich an dem einen Tage, dem einzigen Tag im Jahre trinken muß — trinken xonr 1a vis st pour l'llonnsur! Denn, wenn ich nicht vergeh' im Rausch den vermaledeiten Tag, würde ich begehen eine noch größere Unthat."
„Aber was geschah Dir an dem Tage, Legrand?"
Er wollte es mir nicht sagen.
„Das verstehst Du nicht, Toinette. Aber denk' Dir einmal, was Dein Vater thät, wenn Du groß wärst, und er hätt' nichts mehr auf der Welt, als Dich — nichts weiter — und es käm' ein böser, böser Mann und nahm' Dich ihm fort und trät' in den Staub Deine schutzlose Jugend — 1a vis st 1'llonnsnr unter die Miß' —oh!"-
Und dann rollten seine Augen und ballten sich seine Fäuste, so daß ich Mühe hatte, ihn zu beruhigen. — Sonst war er so brav, — aber wenn der eine Tag kam, mußte der arme Legrand trinken, —trinken ponr 1a vis st ponr l'lionnsnr, an dem einzigen Tag im Jahre — und, nicht wahr Herr General, dafür werden Sie ihn doch nicht in Ketten legen und in den Kerker werfen?"
Der Marschall ließ die Hand von den Augen sinken und erhob sich langsam von seinem Sitze. Und nun zeigte es sich, daß der Zug von Härte und Unbeug- samkeit, der um seinen Mund gemeißelt lag, sich, der weicher klingenden Stimme znm Trotz, zuletzt noch verschärft hatte. Arme Toinette, Deine kindliche Stimme war wirkungslos verhallt — um den Fels zu rühren, bedurfte es anderer Hebel! Jeder Soldat der Kranäs arinss, bis aus den letzten zitternden Mann des unbesiegbaren Corps herab, hätte gewußt, daß Davoust mit diesem Gesicht sich eben