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M. v. K.
so wenig einen Schuldigen nehmen lasse, als das Raubthier ein schon zu Boden geworfenes Opfer.
„Es thut mir leid, mein Kind, aber ich kann nichts für Deinen Freund thun — nichts! Er hat gefehlt gegen die Subordination, und das ist von allen militärischen Verbrechen das schwerste. Das verstehst Du nicht, Toinette — wie der alte Graukops sagt — aber er mußte wissen, was erthat! Nillksaora toubro! kommt betrunken in den Dienst und vergreist sich an den ihn zurecht weisende,: Vorgesetzten! Mit den: Leben sollte er es büßen. — Es thut mir leid, Tviuette, Deinetwegen. Geh' nach Hans, Du hast Dein Möglichstes für ihn gethau."
Er strich mit der Hand leise über ihr herabhängendes Haar und winkte nach der Thür.
Doch wo der Tapferste der Armee nicht länger Stand zu halten gewagt hätte, blieb sie vor ihm stehen, die langen Wimpern gesenkt, still zu Boden blickend.
„Vielleicht kann ich Dir später eine andre Bitte gewähren. Und meine Empfehlung an Joachim Stahl, den hoffnungsvollen Vaterlandsvertheidiger! Er soll halten, was er versprach — ein Mann, ein Wort, — wie Ihr Deutschen sagt."
Sie regte sich noch immer nicht von der Stelle, und wunderbarerweise wurde er nicht ungeduldig. Er hob das gebeugte Köpfchen empor und sah ihr gerade in die großen, traurigen Augen.
„Du bist keine Schmeichlerin, — aber Dein Blick und Deine Stimme und — mehr noch — Dein Name haben sich in mein Herz geschmeichelt, und ich möchte Dir gern etwas zu Gefallen thun. Hast Du um nichts Anderes zu bitten?"
Da richtete sich das stehende Kinderauge fest aus das seine.
„Wenn Du Toiuette Normann nicht hören willst, so denk', es sei Toinette Devreux, die für Legrand bittet."
Jetzt hat sie doch den zündenden Funken gefunden, der in die verwundbare Stelle seines Innern wie in eine verborgene Mine fällt und den Brand mit einem Schlage über ihrem unschuldigen Köpfchen zusammenlodern macht.
Der feindliche Gewaltige streckte mit einem heiseren Laut seine Gestalt in die Höhe und schleuderte dabei das zitternde Kind wie eine Feder von sich. Eine dunkle Röthe begann gleich einem Maal auf seiner Stirn zu glühen. Mit dröhnenden Schritten maß er das Zimmer, plötzlich blieb er vor der tief Erschrockenen stehen, zog sie dicht zu sich heran und sah ihr forschend in das angstvolle Gesichtchen.
„Toinette Devreux!" Was weißt Du von ihr, und wer nannte Dir diesen Namen?"
„Nicht Legrand," ries das Kind nun in sorgenvollem Eifer, seiner Sache geschadet zu haben. „Niemals Legrand. Er sprach nie jenen Namen
aus! Ein alter Kamerad von ihm hat mir nur einmal erzählt, daß Legrands Tochter so hieß. Sie sei so schön gewesen — so fein und so geschickt in: Blnmenmachen — und er habe sie zu einer reichen Verwandten nach Paris gebracht, damit sie sich in ihrer Kunst vervollkommene. Der alte Legrand, wie hätte er sie so närrisch geliebt! — Und doch gab er seine Zustimmung, daß die reiche Base sie ganz an Kindesstatt „„nehmen und ihr auch ihren Namen „Devreux" geben dürfe, weil sie ihr nur dann ihr vieles Geld hinterlassen wollte. Und Legrand wünschte nichts weiter, als seine Tochter reich und glücklich zu wissen. Aber sie hat all' das Geld nicht gebraucht, die arme Toinette! den» eines Tages ist sie aus dem Hause ihrer Base verschwunden gewesen und nie zurückgekehrt, — und das ist ja eben der Unglückstag, au den: Legraud trinken muß!"
Eine lange, bange Pause trat ein, doch es war jetzt nicht das Kind, welches zagend schwieg, — der auf der Höhe des Ruhmes stehende Heerführer, dem jedes Kriegsjahr und jeder befriedigte Ehrgeiz ein Stück Herz gehärtet — dem die Furcht so fremd war, wie das Mitleid — er fragte so zögernd, als ob er die Antwort fürchtete:
„Und hast Di: nie erfahren, was — was aus ihr geworden ist?"
„Nein, das hat mir Niemand gesagt," erwiderte sie unschuldsvoll. „Doch ich glaubte keine Andere könnte so für Legrand bitten, als sie."
„Der Instinkt Deines kindlichen Herzens soll Dich nicht getäuscht haben."
Davoust streichelte wieder ihr weiches Haar, aber er starrte dabei wie abwesend über ihren Kopf hinweg. Sah er Wohl durch den trüben, blutigen Dunst der Jahre hindurch die frische airsblühende Gestalt „der schöneu Blumcumacherin," wie er sie einst erblickte, als er von der Kriegsschule zu Brienne kam und lustberauscht das Seine-Babel betrat? Sah er die jungen, glänzenden Augen wieder, die im neugierigen, verlangenden Umherspähen nach ihrem Antheil Glück mit den seinen zusammentrafen im gleichen Begehr? — Sie hatten nur einen Fehler, diese Augen der reizenden Toinette Devreux — daß man sie nie vergessen konnte, weil sie schöner waren, als die aller Anderen -— zu schön und schuldlos für Paris! Paris — das ungeheure Glücksrad — drehte nur einmal seine Speichen spielend wider sie, — die gierige, wildbewegte Masse zog sie zu sich herab — und es war um sie geschehen. Eine mehr unter Tausenden! — Was lag im Grunde dem jungen Sieger daran? Vielleicht hatte das Glücksrad sich wieder gedreht und sie diesmal emporgerissen zu Gut und Gunst, — für Paris war Alles möglich —- vielleicht — —