Die Schlösser König Lndwig's II.
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geworden, zog er den großen Magier sofort in seine nächste Nähe, und Wagner erkannte nur zu bald, mit welchen Stoffen er den Sinn „des reinen Thoren" zu umgaukeln, mit welcher Narkose er den Neophyten einzulullen habe, um ihn ganz in Fesseln zu schlagen.
Schloß Hohenschwangau trägt die vom König Max gewollte einfache kernige Pracht derGothik und Renaissance, sein Inneres ist ein bis zum letzten Punkt harmonisch gestaltetes Gefüge bis in's Kleinste, keine Ueberladung an gleißendem Gold und Silber, sondern alles Kunstvolle ist von einfach wuchtiger Kraft und gediegener Schönheit. Wir waren deshalb sehr gespannt, die Privatgemächer und das Arbeitszimmer des Königs Ludwig zu sehen. Hier entfaltete sich allerdings jener Prunk, der sich bei diesem eigenartigen und verwöhnten Schloßherrn in schwereil, massigen Goldstickereien, wollüstigen Sammetstoffen und raschelnden, glitzernden Seidenvorhängen bekundet. Aber der Blick haftete nicht neugierig an diesem oder jenem Detail, denn der Castellan öffnete die Fenster, und siehe, ein Panorama von nie gesehener Schöne umfing nns mit seiner leuchtenden, herzbeglückenden Allgewalt. Wie das blaue Auge der Alpeil liegt da der Schwansee, und sein Nachbar der Alpsee grüßt ans dem Grün der Föhreil herauf zu unserm Fürstensitz, lieblich schlingt sich der Kranz der Algäuer Berge und weiter ragen die ehrwürdigen Häupter der Tyroler Grenznachbarn. Lärchen und Ahorn und eine Welt voll dunkelbuschiger Vegetation strömen Tannenharzdnst ans dem melodischen Waldesweben, brausend schäumen die Achen, weiße Silberbänder durch das Waldesdnnkel schlingend und aus der Pöllatschlncht schießt übermüthig durch gehöhlte Felseil der aufbrausende junge Sohn des Gebirges. Wahrlich der Platz an des Königs Schreibtisch hier ist kein Sitz znm Träumen, nein, er fordert Heralls znm Handeln, zu großen Thaten oder znm Forsten, zum Jagen, znm mnthigen Wagen, aufwärts zu steigeil und die Brust gesund zu baden und zu befreieil von dunklen Gewalten. Aber König Ludwig hat hier weiter geträumt an diesem Sitze und wie wir ein Bild an der Wand des eigenen Zimmers, welches wir täglich vor Augen haben, ans Gewohnheit schließlich nicht mehr gewahren, so hatte auch für den königlichen Träumer diese anbetungswürdige Natur keinen Reiz mehr. Sein begehrlicher Sinn suchte Veränderung, er schloß die schweren Goldbrokatvorhänge, und bei der Nachtlampe, die hier einst dem Minnesänger Hilpolt von Schwangan nicht viel besser geleuchtet haben mag, barg der König stieren Auges das Haupt in Bauentwürfe und Skizzen. Ein Büchsenschuß weit, auf dem Tegelfelsen, unwegsam, am jähen Abhang der tosenden und brausenden Pöllat-
schlucht war Platz für ein Schloß nach seinem Sinn, Hohenschwangau, das die Ritter einst Schwanstein geheißen, wollte er neu erstehen lassen, Neuschwanstein sollte es heißen das Riesenschloß, das in seinen täglichen und nächtlichen Träumen wie ein Geisterspuk tobte. „Schnell, sprengt mir den Felsen, macht unwegsam den letzten Rest, der noch wie ein Zugailg zum Tegelfelsen aussieht, und über dämonisch schwindelnde Brücken bringt mir die Granitblöcke von zwei Metern im Durchmesser!" Das war der Befehl des gewaltigen Machthabers auf Schwangau, gegeben wie einen Wink, wie man ihn leichten Sinnes einem Diener am Frühstückstische crtheilt, befolgt aber und ausgeführt pünktlich und ernst wie das Machtgebot eines Weltenbeherrschers.
Jetzt ragt Neuschwanstein, erbaut nach dem Muster der Wartburg, nur doppelt so groß und umfangreich, auf dem Tegelfelsen, wenn auch unvollendet, empor und das etwas weiter unten liegende Hohenschwanganer Schloß nimmt sich gegen diese Walhallagötterburg wie ein Kartenhaus aus: „Auf Berges Gipfel die Götterburg, — prunkvoll prangt der prächtige Bau." — Neuschwanstein hat fünf mächtige Stockwerke und drei Dachstühle, die Balkons im dritten und vierten Stockwerk tragen ein Dach von schwervergoldeten Platten, die weit hinaus in die Lande im Sonnenlicht blitzen, von hier aus sieht man senkrecht und tausend Meter tief in die Pöllatschlncht, deren brausendes Wasser durch den noch oberhalb des Schlosses beginnenden Pöllatwafferfall gebildet wird; über die Schlucht selbst, 90 Meter hoch, führt eine lange graziös gebaute Schwebebrücke, deren gewaltige Träger von hier wie ein dünnes aus Zündholzstäbchen gebautes Balkenwerk erscheinen. Zaghaft näherten wir uns über ein Labyrinth von Steinmetzarbeiten und unvollendetem Material dem Schlosse, das noch kein Fremdling betreten; freundlich grüßend kamen wir an Arbeitern und Aufsehern vorbei und drangen weiter vor ohne aufgehalten zu werden, mit leisen Schritten barhäuptig schritten wir durch die imposanten Hallen und Gänge und gelangten, ohne den Wunsch: die Zimmer zu sehen, in uns laut werden zu lassen, bis in das dritte Stockwerk. Der geräumige Corridor mit prachtstrotzenden Kronleuchtern in Schwanengestalt gebildet, und an den Wänden die Fresken der Siegfriedssage, machte auf uns den Eindruck einer Wartburgsängerhalle, aber die eigentliche Sängerhalle sollte uns sich erst erschließen. Wir waren eben in Betrachtung eines Gipsmodells begriffen, welches das in letzter Zeit vom Könige projectirte chinesische Schloß Falkenstein vorstellt, als die Thür des königlichen Speisezimmers sich öffnete und ein Schloßbeamter sein prüfendes Auge über unseren Touristenanzug gleiten ließ. „Sie verzeihen, wenn es uns gelungen, bis hierher