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Die Schlösser König Ludwig's II.
zu dringen," sagten wir höflich, „wir glaubten kein Unrecht zu thun."
„Mit Gottesfurcht und Dreistigkeit kommt man durch die ganze Welt," erwiederte freundlich der Angeredete, „wenn des Königs Majestät noch lebte, wären Sie nicht mehr am Leben, sondern lägen bereits erschlagen in der Pöllatschlucht oder im Burgverließ." Dabei lud er mit freundlicher Handbewegung ein in die Gemächer zu treten. Wie alle Zimmer in der Farbe der Sammet- und Seidenstoffe verschieden, fo hatte auch das Speisezimmer in allen Details feine eigene Farbe, nämlich bordeauxrotst In der Mitte stand ein Speisetisch mit vier Stühlen, an welchem der unglückliche Monarch sein Frühstück kurz vor seiner Fortführung nach Schloß Berg genommen; auf dem Fuß des Candelabers lag noch die halbaufgeranchte Cigar- rette, zahlreiche Brodkrumen bedeckten den Teppich und in der Mitte des Tisches standen ein Blumenstrauß und zwei silbervergoldete Tafelaufsätze, Lohengrin und Siegfried als Drachentödter darstellend, beides im Detail meisterhafte Arbeiten des Münchener Kunstgewerbes. Der König hatte eben gespeist und fühlte sich beruhigt in dem Glauben, daß die Commission geblendet im Burgverlies; schmachte, als er laute Schritte auf der Treppe hörend hinaustrat, um sich von der ungewohnten Störung zu überzeugen. Er fand die Treppe durch Wachen besetzt, welche seine Absicht verhindern sollten, sich von dem Thurm des Schlosses in die Pöllatschlucht hinabznstürzen, wahrlich eine schwindelerregende Luftreise von tausend Metern und eine Todesart würdig eines irrsinnigen Königs. Hieran der Treppe bannte ihn das große, freundliche Auge des sich ihm in milder Ruhe entgegenstellenden Or. von Gudden. Neben dem Speisezimmer, welches prachtvoll geschnitzte Renaissanceschränke und eine Menge Prnnkgefäße schmücken und dessen Kamin einen riesigen Schwan aus Porzellan trägt, liegt das Arbeitszimmer des Monarchen, dessen Möbelstoffe grün mit schweren Goldauflagen versehen das reichgestickte L. mit der bayerischen Krone tragen, an den Wänden spielt sich die Tannhäusersage ab, die völlig nackten Nymphen mit der gekrönten Venns sind in ihrer Gruppirnng vom Könige selbst entworfen. Auf dem Schreibtische sehen wir wiederum Lohengrin mit dem Schwan aus massivem Silber und Gold als Tintenfaß gedacht, daneben einige Gänsefedern, die sehr tief eingetancht, noch feucht und erst kürzlich gebraucht zu sein schienen; auch eine kostbare Stahlfeder mit goldenem Halter lag bei der mit Edelsteinen besetzten golddurchbrochenen Schreibmappe. Von hier aus gelangten wir in ein geräumiges Empfangszimmer, welches durch Siegfrieds Tod, gemalt von Piloty, geschmückt ist. Dieser Raum hatte für
den König noch seinen besonderen Zweck. Des Königs Freigebigkeit liebte es besonders auch zur Weihnachtszeit, reiche Spenden auszutheilen und Ende November begann er mit seinen Weihnachtsein- käufen. Da wunderten denn wochenlang jeden Tag die schwersten Kisten aller erdenklichen Kanfleute und Händler auf die Götterburg. Von nah und fern kamen die Geschäftsleute und wälzten ihre Waaren in großen Wagenladungen, trotz Schnee und Winterfrost den Berg hinauf. In diesem Empfangszimmer- Würden die ansgepackten Waaren ausgestellt und der Monarch verbrachte Nächte lang in diesem Raume, wie ein königlicher Weihnachtsmann schaltend und answählend, wobei der geringste seiner Hofbeamten in München und auf den Schlössern reich bedacht wurde. Diese Weihnachtsauswahl fand stets in so reichem Maße statt, daß der unten im Schloßhose wartende Kaufmann stunden- und tagelang mit anderen zugereisten Collegen sich einem fröhlichen Zechgelage hingeben konnte, nm endlich mit wahrhaft fürstlichen Ankäufen und weiteren Aufträgen zu Thale ziehen zu dürfen. Diese Weihnachtswochen bilden Sonnenblicke in dem verdüsterten Seelenleben des Königs und wiederholten sich ans Hohenschwangau und Schwanstein seit zwanzig Jahren mit militärischer Pünklichkeit, jeder Münchener Geschäftsmann hatte seinen bestimmten Tag und Stunde, wo er, das heißt seine Kisten, im Empfangszimmer vorgelassen wurde.
Wie das Arbeitszimmer eine traurige Denkwürdigkeit erlangt hat durch all' die wüsten Befehle und Todesurtheile, die der Irrsinnige hierzu Papier brachte, so entbehrt auch das Speisezimmer seiner Tragikomik nicht. Hier speiste er, gekleidet in der Rococotracht der Pvmpadonrzeit, in der ihm angenehmen Gesellschaft Ludwigs XIV. und XV. und der unglücklichen Königin Maria Antoinette, die er besonders in sein Herz geschlossen hatte. Diese alte erlauchte Gesellschaft in Pondre und Allongenperrücken saßen im steifsten Hofcere- moniell an seiner Tafel, wenigstens glaubte der König in seinen Hallucinativnen diese historischen Gestalten besuchsweise um sich zu haben, und während der Wahnbefangene mit leeren Stühlen zu Tische saß, erblickte er sie wie Banko's Geist an seiner Tafel und führte laute und eingehende Conversation mit ihnen. Dieses Ceremoniell von einer langen reichbesetzten Tafel mit leeren Stühlen hat der König schon vor langen Jahren einmal in alter Rococotafelpracht ausgeführt, wobei er in liebenswürdiger Weise den Wirth machte und jedem goldbrokatbestickten Stuhle etwas Angenehmes zu sagen wußte. Auf seinem Arbeitstische prangte auch lange Zeit eine reizende Zeichnung von dem Maler Heinrich Lossow in München, welche eine fröhliche im Champagner schwelgende Tischgesellschaft