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Die Schlösser König Ludwig's II.
Boden, ein Druck mit dem Finger und der Tisch verschwindet um neugedeckt und servirt sich wieder empor zu heben. Die Mansrednatur des unglücklichen Königs, die aus dem Adlerhorst des „Schachen" oder auf dem hoch über der Pöllatschlucht thronenden Balkon, ihren Phantasien nachhing, wollte auch hier auf Insel-Versailles ihren Zauberspuk, wenn es auch nur ein billiger mechanischer Zauber war; aber auch noch ein anderer Zauber verklärte ihn, wenn draußen Wald und See im Schlummer lagen und er allein schlaflos wachte, dann feierte er die Mitternachts stille, durch Tausende von Kerzen der 52 Riesenkandelaber und 33 Kronleuchter, welche die Spiegelgallerie in eine Feenwelt verwandelten, wie sie in unserer Phantasie aus Ammenmärcheu und Gnomenbergwerken zur Spottgeburt werden. In keiner Königsburg der Welt ist ein Gleiches zu finden.
Den mächtigen, der ganzen Fayade des Schlosses entlanglaufeuden Bogenfenstern entsprechen an der gegenüberliegenden Wand zwanzig mächtige Spiegelscheiben, jede etwa 30 Fuß hoch, auch die Thüren sind aus geschliffenem Spiegelglas von mehr als Zolldicke und die Decken und Nischen zeigen Gemälde, welche sich auf die Regierung Louis XIV. beziehen, ferner vergoldete Broncevasen mit zwei Meter großen Oesfnungen, aus denen Blumen und Blattgewächse hervorragen, dazwischen Aufsätze aus Silber, Imitationen der schönsten Statuen der Antike und auf vergoldeten Sockeln die Marmorbüsten römischer Kaiser aus farbigem Marmor.
So kommt man aus dem Staunen nicht heraus bis plötzlich tiefbeschämt der Blick auf ein Friesgemälde fällt, welches den Triumph Frankreichs über Deutschland darstellt und ebenfalls eine getreue Nachhildung jenes Gemäldes ist, welches in der Versailler Gallerie angebracht, in welcher am 18. Januar 1871 Bayern dem deutschen Kaiser die Krone reichte. König Ludwig, welcher deutsch zu sein vorgab, hat dieses Bild von einem deutschen Maler auf deutschen Boden verpflanzen lassen. Wir eilen fort, vorüber noch an dem siuubestrickenden Marmorbad, in welchem durch eine eigenthümlich construirte Spiegelung uns das eigene Bild in fünfzigfacher Vermehrung entgegentritt. Fort, fort von hier! Starrend überlüuft uns ein Frösteln, trotz aller modernen goldschimmeruden Pracht unseres Kunstgewerbefleißes liegt es um uns plötzlich wie Moderduft, ein grauer Schleier wie Gewitterstimmung umfängt uns nach dem augenblendenden und doch tvdten Prunk. Hinaus in den Park, hinaus in die Welt, in die gesunde Welt, fort mit den steif französisch gestutzten Taxushecken! Wo ist der schwankende Fischerkahn, der uns schnell über die sturmbewegten Fluthen führt an das binsenumwogte Waldrandufer? Die Herreninfel liegt hinter uns, verschwunden sind
die Marmorterrasfen und Orangerien, um die ein schwarzer Trauerfalter geflattert. Kräftiges Tannenharz und das Moos des Waldes umfängt uns, ein leichtes Gewitter, das schnell über die grünblauen schaumkräuselnden Seewellen geeilt, ist abgezogen, ein fernes Donnerrollen hallt nach wie ein leichtes Grollen ob jener einsamen, zwecklosen Fürstenpracht über den weiten See herüber, tiefes Himmelsblau lacht durch die Föhrenwipfel, ein balsamischer Duft aus Waldkräutern und wohlriechendem Erdreich erfrischt unsere Nerven und die Brust athmet in kräftigen Zügen. Der Waldboden ist trocken, die Käfer summen im Sonnenlicht, der Vögel Waldruf klingt wie Frage und Antwort von den tropfenden Zweigen. Hier unter Ahorn und Buchen ist es wohlig und schön; hier ruht es sich wie unter den Sykomoren eines Urwaldes, schöner als die Brillanten im Fürstenschlvß glitzern vereinzelte Regentropfen in den Tannennadeln. Wer hat den zweiten Akt in Wagners Siegfried, den schönsten der ganzen Trilogie, gesehen? Hier im Chiemgauwalde ist dieser zweite Akt, aber schöner, weit schöner als auf der Bühne. Meisterlich hat ihn der Eomponist der Natur abgelauscht, aber er hat die Natur nicht übermeistert. Ermüdet wie Siegfried, der eben den Lindwurm erlegt, ruhen nur im Grase, das Frau Sonne getrocknet, die Wimpern lösen sich schlafbefangen und um die Schläfen spielen leise und linde des Schlummers Wellen, ein Waldweben, wie es Wagner im Siegfried meisterlich inalt, umsäuselt uns, brünstige Käfer und Bienen summen im Sonnenstrahl, der durch die Blätter irrt, sangeslustige Grillen zirpen, Meister Specht hämmert am Baumstamm, die Büsche rauschen, Amsel, Lerche und Wachtel melden sich mit ihren kleinen Kehlen, erst wie fragend, dann lauter und deutlicher und aus dem gesteigerten Chor des Vogelconcerts erschallt eine glockenreine Frauenstimme gleich einem Weckruf, schöner als Pickelftöte und Hautboe, schöner als Nachtigallenlockruf. Wie Siegfried folgen wir der Stimme des Waldvögeleins, bald tönt sie hier, bald wieder dort; folgen wir, so kommen wir zu jenem Zauberberge, der die schlafende Brunhilde mit brennender Lohe umhüllt. Nein, es ist kein Traum, kein Theatertraum; die Natur, die allgewaltige und ewig wahre umfängt uns wie ein erfrischendes Labsal nach düster verworrenem Sinuen- ransch. Gelobt sei Gott, wir sind noch frei vom Wahn, der unser Hirn befallen könnte, noch hat kein Sonnenpfeil unfern Schädel brennend durchbohrt! Menschlich und gut sein, welche Göttergnade, und ein menschlich Erfassen, was uns aus traumhafter Poesie herausreißt, welch' Götterglück! Ein rollender Bahnzug, ein Pfeifen erinnert uns an das reale Leben, er führt uns zurück in die Hauptstadt, dort in der Laube am kleinen Tisch, mit frischen