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Adolf Lbeling. Aarawanserai in Skutari.
europäischen Waaren aller Art nach den Ländern des Ostens bringen, speciell nach Adrianopel und nach Konstantinopel, und für diese Karawanen ist Sku- tari der erste Halte- und Verladungsplatz.
Das dortige Karawanserai ist wohl das bedeutendste der ganzen europäischen Türkei, denn es ist wegen des nahen Bazars zugleich ein „Khan", wo viele Waaren aufgestapelt werden, die für Albanien selbst und auch für Montenegro und Bosnien bestimmt sind. Die eigentliche Karawane zieht nach mehrtägigem Aufenthalt weiter nach Osten zu den obengenannten beiden türkischen Hauptstädten, und die lange beschwerliche Reise durch ganz Ru- melien dauert bis nach Stambul und Pera gewöhnlich anderthalb und auch wohl zwei Monate. Ein Theil der Karawane geht unterwegs südlich nach Saloniki und später nördlich nach Philippopel; der Hauptzug rastet dann noch einmal in Adrianopel und zieht in südöstlicher Richtung weiter, bis er endlich als letztes Ziel die Residenz des Sultans am Bosporus erreicht hat.
Während der sogenannten Karawanenwochen, wie sie das Volk nennt, ist Skutari überaus belebt und für einen Touristen in hohem Grade interessant. Die bunten Costüme, nicht der Albanesen allein, sondern auch der Dalmatiner, der Montenegriner und der übrigen anwohnenden Völkerschaften, geben den einzelnen Gruppen der Kaufleute und der vielen Kleinhändler, der Beamten und sogar der gewöhnlichen Arbeiter ein sehr pittoreskes Aussehen. Dazwischen gewahrt man überall die auf und ab wandelnden Türken, die sich als die „Herren des Landes" aufspielen, aber im Grunde nicht viel zu sagen haben. Sie sind die einzigen, die einen Turban tragen, an welchem man sie auch sofort erkennen kann; denn alle übrigen Männer tragen das Fez, den Tarbusch oder die runde braune Filzkappe. Frauen sieht man auch hier, wie überhaupt im Orient, nur selten; sie bleiben daheim und rüsten das Mahl (das Nationalgericht: Hammelfleisch mit Reis) und legen die Waffen und Kleider des Gatten zurecht, wenn er nämlich die Reise mitmachen will, und vergessen auch den nöthigen Proviant nicht.
Im Karawanenhose selbst herrscht das regste und lauteste Treiben: die Maulthiere und Esel werden hoch beladen — Kameele, die Hauptlast- thiere der syrischen und afrikanischen Karawanen, sind in Albanien selten — und Bauern aus Bos
nien oder aus der Herzegowina fahren mit ihrem Büffelgespann auf langen „Schleifen", die wie das Untergestell eines Schlittens aussehen, immer neue Waarenballen und Kisten herbei.
Die ungeduldigen und oft sehr wilden Pferde sind gesattelt, und eines frühen Morgens setzt sich der aus vielen hundert Menschen und Thieren bestehende lange Zug in Bewegung. Dann versinkt Skutari wieder in seine frühere einförmige und langweilige Stille, bis sich nach etwa einem halben Jahre das Schauspiel erneuert.
Wir aber richten, rückwärts gewandt, zum Abschied den Blick in ein früheres Jahrtausend, wo, südlich von Skutari und gleichfalls an der Meeresküste, das alte, berühmte Dyrrachium lag, jetzt das unbedeutende Städtchen Durazzo, mit einem fast versandeten Hafen, ehemals aber das größte Handelsemporium der alten Welt. Im Jahre 48 v. Ehr. war Dyrrachium der Hauptwaffenplatz des Pom- pejus, den Cäsar hier vergeblich belagerte und, von ihm geschlagen, schleunig nach Brundusium (dem heutigen Brindisi) zurückkehrte, um nach Rom zu eilen. Auf dieser Seefahrt in einer elenden Fischerbarke war es, wo der Gewaltige beim herannahenden Sturm den verzagenden Ruderern znrief: „Fürchtet Euch nicht; das Schiff trägt Cäsar und sein Glück!"
Und augenblicklich gewinnt vollends Albanien für uns an doppeltem Interesse, denn die kriegerischen Gelüste Griechenlands sind zunächst auf diese türkische Provinz und auf das angrenzende Thessalien gerichtet, und gerade während wir dies schreiben, melden uns die Zeitungen, daß die Griechen an mehreren Stellen die nördliche Grenze überschritten haben und daß bereits vor Larissa und Arla ein Zusammenstoß mit den Türken stattgefunden. Zu einem eigentlichen Kriege wird es aber höchst wahrscheinlich nicht kommen, denn abgesehen von dem Einschreiten der Großmächte, die noch immer den „kranken Mann" am Bosporus schützen und halten, fehlt den Hellenen ein Held wie Cäsar, oder, um in ihrer eigenen Geschichte zu bleiben, wie Capo d'Jstrias oder Maurocordato. Doch das gehört schon nicht mehr in den Rahmen dieses Artikels.*)
*) Die letzten Nachrichten melden bereits die Abrüstung Griechenlands, nach erfolgtem Berständniß mit der Türkei. Wir werden bald sehen, was es mit diesem „Verständnis;" auf sich hat. Die Red.