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L. Aoeller-Liouheart.
Hahn — nicht mehr ins Krankenzimmer; mit ihrem Lamentiren und Geheul regt sie uns die Kranke nur auf. Alle Viertelstunden frische Eiscompressen
— besser, Sie stellen sich die Schüssel in das ungeheizte Zimmer nebenan; will Ihnen gleich Licht hinein besorgen lassen. Alles Andere wissen Sie
— verändert sich was, gleich rufen lassen, sonst bin ich gleich nach der Sprechstunde morgen hier. — Gute Nacht."
Er stülpte sich den Hut aus. — Schwester Caritas ging zurück ins Krankenzimmer an ihren Wärterposten. Die Stunden der Nacht verrannen. Kein Schlaf kam in ihre Augen. Aus dankbaren Augen blickte die Kranke nach jeder neuen Erleichterung zu ihr auf.
„Wie gut und sanft Sie sind," murmelte sie ein paar Mal zwischen Wachen und Schlafen.
Dämmerig erhellte die Nachtlampe das große angrenzende Zimmer, in das die Eisschale gestellt war. Es mußte ein großes hohes Herrenzimmer mit antik geschnitzten Eichenmöbeln sein, so viel die Umrisse desselben erkennen ließen. Der Lichtreflex am Plafond zeigte dunkelgebeizte Paneelungen mit fußlang herabgesenkten Holzspitzen. Der Fuß glitt über dicken weichen Smyrnateppich hin, als Schwester Caritas ab und zu ging. Aus dem Dunkel tauchten vom Eckbrett der Gesimssophas schwere Humpen und Delfter Krüge auf. In den Butzenscheiben des Berliner Fensters und den grünen Kacheln des altdeutschen Ofens spiegelte sich das Flämmchen. Es schien eine jener altdcutschmodernen Einrichtungen, das weite Herren- oder war es ein Studierzimmer? — zu füllen, wie es jetzt Styl ist, Schwester Caritas dachte sicher nicht darüber nach, als sie jetzt wohl zum sechzehnten Male die eisgekühlte Compresse ausdrücken wollte. Das Flämmchen der Nachtlampe ans dem großen tuchbeschlagenen Tisch fing dabei gerade an zu knistern und flackern. Schwester Caritas zog eine Haarnadel unter der Haube vor, um es ein wenig höher zu ziehen, dabei verlor der Schwemmer das Gleichgewicht, tauchte in die Oelfluth und das Flämmchen verlöschte.
Mit der flachen Hand tastete sie nun auf der Tuchplatte umher; durch den Thürspalt drang gerade Licht genug hindurch, um einen Bronceleuch- ter mit Kerze darauf erkennen zu lassen, sicher fand sich auch Feuerzeug in der Nähe, und richtig, da stießen ihre Finger schon daran, aber nicht eher, als bis sie ein Buch, daß daneben gelegen haben mochte, mit dem Aermel heruntergefegt hatte.
Nun flackerte Licht auf, sie bückte sich nach dem Buch, das an einer oft gelesenen Stelle sich aufgeschlagen hatte. Unwillkürlich sah sie darauf hin. Es waren Verse. Ein unterdrückter Laut floh von ihren Lippen, sie war geisterbleich, als sie sich wieder aufrichtete.
„Mich fasset dann ein heimlich Grauen an,
Wie uns im Wald befällt ein leises Zagen Ein Kreuz zu sehen, wo den Wandersmann Des Räubers unheilvolle Faust erschlagen.
So dünkt mich oft Dein Haupt ein Leichenstein,
Dem nicht der Kranz des Lebens mehr beschieden, Der nur bestimmt, ein stilles Mal zu sein,
Wo man erschlug den schönen Seelenfrieden!" —
„Den Seelenfrieden," wiederholte sie nachdenklich — ein sonderbares Lächeln umschwebte ihre Lippen. Sachte klappte sie das Buch zu, nahm die Kerze in die Hand, schritt auf den Spiegel zu, der geheimnißvoll aus dem Dunkel des Hintergrundes hervorleuchtete, hielt das Licht hoch und betrachtete ihr Spiegelbild mit Aufmerksamkeit. Hatte die barmherzige Schwester eine letzte Eitelkeitsanwand- lung oder wollte sie nur erforschen, ob das schöne bleiche Haupt da, im Rahmen der schlichten atlasglänzenden Scheitel und des weißen Häubchens noch immer: ein stilles Mal sei, des erschlagenen Seelenfriedens ?
Gott sei Dank, nein! Die zum Frieden gekommene Seele spiegelte sich auch auf dem milden Madonnenantlitz von Sybille Werder — Schwester Caritas.
Der schmerzliche verschlossene Zug um die Lippen war fort, das einstens nervös unruhige Auge blickte klar, fast freudig in die Welt, der Mund hatte ganz und gar jenes schmerzensreiche Lächeln verloren, das durch die Seele schnitt und sie dahin wandeln ließ, ein lebendiges Geheimniß unter frohen Menschen. Eine wehmüthig freudige Resignation lag auf ihrem ganzen Wesen. Wohl war ihr der Kranz des Lebens kaum mehr beschieden, aber die Friedeuspalme war unveränderlich ihr eigen.
Ein leiser Ruf der Kranken gemahnte sie au ihre Pflicht. Sie drückte die Coinpressen aus und legte sie mit linder Hand, das schwere Haupt behutsam hoch hebend, um den Hals. Ein dankbarer Blick aus sanften Augen lohnte ihr.
„O, Schwester," seufzte die Matrone erleichtert, „wenn man so schonende Hände doch immer um sich haben könnte. Die Schmachthahn hat mich fast umgebracht mit ihrer Angst, ihrem Geweine und ihren Quälereien, die sie Pflege nannte. Ich fühle, wenn Gott mir ein längeres Leben beschieden, habe ich es Ihrer rastlosen Unermüdlichkeit zu danken.
! — O Schwester, Sie sind ein Engel auf Erden." Das war Schwester Caritas zweite Weihnachts- bescheerung. Mit einem seligen Lächeln auf den Lippen saß sie neben dem Bett und hielt die fiebernde Hand der Kranken die vielen Stunden hindurch. Es war, als ströme der tiefe Frieden ihres Wesens gleichsam beruhigend auf die vorher so erregte Patientin über.