Ihr Geheimniß.
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Nun kamen die Worte langsam und dumpf, als ringe jeder Laut sich mühsam los, als könne er nicht fassen, daß es überhaupt möglich sei. „Die Gräfin Wallhoven? Großer Gott, die Gräfin Wallhoven!" — Dann stand er auf, ging ohne sie anzublicken zur Thür, zog sie sachte ins Schloß, kam mit schwerem Schritt zurück, griff taumelnd nach der Tischplatte.
„Das kam unerwartet," sagte er mit schwerer Zunge und strich sich ein paar Mal wie geistesabwesend mit der Hand über die Stirn und sich dann zur ruhigen Höflichkeit zwingend, schob er ihr einen der tiefen Sessel zu und ließ sich wie gebrochen auf einen Stuhl fallen.
„Ich werde Ihnen unmännlich erscheinen, Gräfin. Wir sollten uns eigentlich nach diesem nichts weiter zu sagen haben, aber ich kannte Sie als Sybille — meine Sybille" — brach es plötzlich schmerzergriffen aus ihm hervor, „ehe ich — ehe — ich der Gräfin Wallhoven gegenüberstehe. Ich kann nicht verstehen, wie — wie die Beiden zu einander gehören, wie sie eins sein können. Eine unheimliche Neugier quält mich, ich möchte in die geheim- nißvolte Werkstatt blicken können, wo Himmel und Hölle zusammenfließen. Entschleiere Dich grauenhafte Sphinx — rette meinen Verstand, unheimliches Doppelwesen," brach er grimmig los und schüttelte ihre verschlungenen Hände in aufrasender Wuth.
Rührte ihn der flehentlich erhobene Blick, die süße Unterwürfigkeit, mit der sie sein Ungestüm demüthig ertrug oder schämte er sich feiner Heftigkeit? Stöhnend ließ er ihre Hände fahren und sein Haupt sank vornüber auf die auf die Tischplatte gedrückten Hände herab.
„O Gott, Gott, Sybille, wie konntest Du mir das anthun!" Der Zorn war gebrochen, der starke Mann ächzte das schmerzgefoltert zwischen den Händen hervor; sein ganzer Mensch war in wildem Aufruhr.
Sie saß dabei, stumm und starr wie ein Steinbild, nur aus ihren Augen rollten unaufhörlich schwere große Thränen. „Erbarmungslos hast Du an mir gehandelt," Hub er klagend nach einer Weile wieder an. „Mit dämonischer Gewalt hast Du Dich meines ganzen Wesens bemächtigt, wo instinktiv sich doch etwas feindlich in mir gegen Deine Macht auflehnte. Du, Du warst stärker als ich und lächeltest wohl des Thoren, der sich vergeblich gegen Deinen Zauber sträubte. Weib, Weib, warum ließest Du mir nicht wenigstens die schöne Ahnungslosigkeit. O wärest Du hinter den verhüllenden Schleiern geblieben! Was reißt Du sie erbarmungslos jetzt nieder und läßt mich die gräßlich verzerrte Maske hinter dem geträumten Heiligenbilde sehen. Das Schicksal ist entsetzlich
grausam — nichts von all den Illusionen läßt es, nur Enttäuschung und Verwüstung und den einzigen Glückstraum zerstört es und zerstiebt ihn in alle Winde. Fahr dahin!"
Er stand auf. Die Hände auf dem Rücken gekreuzt ging er, ohne sie anzusehen, mit großen Schritten in dem Zimmer auf uud nieder.
Eine gebrochene Stimme erinnerte ihn zuletzt an ihre Gegenwart.
„Leben Sie wohl," sagte sie schwach und tappte sich der Thür zu. Er sah, wie sie schwankte, wie mühsam sie sich aufrecht hielt. Mit einem Satz stand er zwischen ihr und der Thür. Sein Herz wallte auf in Mitleid.
„Nicht so, Sybille, — so darf unser Abschied nicht sein. Ich vergaß, was ich Dir schulde. Die Vergangenheit mit ihrem Grausen löschte ja auch die Gegenwart völlig aus. Hab' Dank, Sybille, wir sollten jetzt quitt sein. Für ein geliebtes Leben gabst Du mir ja ein theureres zurück. Die Schuld ist ausgetilgt im Buche der Vergangenheit, aber eine andere noch hast Du zu löschen, ehe Du gehst. Du hast mich bettelarm gemacht, Du hast mir den Menschenglauben zerstört und Zweifel und Mißtrauengesäet gegen einen Jeden, dem ich künftig die Hand reichen muß. Wenn Dein Gesicht zu lügen vermag, wenn Tücke und Verbrechen hinter Deiner reinen Stirn lauern, dann giebt es nichts als Heuchler mehr. Du hast das Bild zu reinigen, das ich treu in der Seele trug. Du — Du — mit Deiner süßen Stimme, Deinen holden Augen, Du — Du mit dem hehren Adel in Wort und Blick, Du kannst das entmenschte Ungeheuer nicht sein, für das wir Dich Alle Jahre lang gehalten. Du mußt etwas sagen können, das Dich rein spricht."
„Würden Sie mir glauben?" sprach sie unsäglich müde, und mit festem Stolz kam die zuversichtliche Antwort:
„Ja!"
Aus ihrer gebrochenen Haltung schnellte sie freudig empor, aus ihren Augen leuchtete froher Muth.
„Dank für das gute Wort, tausend, tausend Dank. O, Barmherziger, noch hast Du mich nicht verlassen! Hören Sie mich, hören Sie mich an, Georg Lenz, und dann werden Sie mein milder Richter."
„Du warst es nicht, Sybille? Man klagte Dich fälschlich an?"
Nur ein Kopfnicken, ein kleines einfaches Kopfneigen — und er hätte ihr geglaubt, sie wäre auf immer in seiner Meinung gerettet. Kämpfte, schwankte sie nur eine Secunde? Mit stolzer Wahrhaftigkeit blickte sie ihn an, mit ehrlichem Muthe sprach sie laut und deutlich: