Ihr Geheimniß.
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Allem, was Sie von mir kennen, noch dieser feigen, gemeinen That fähig?"
„Nimmermehr!" athmete er aus befreiter Brust. Die Hand sank von den Augen herab, mit ehrerbietiger Aufmerksamkeit hingen feine Blicke fortan an ihren Lippen.
„Weiter, weiter," spornte er sie in athemloser Erwartung an.
„Das Andere kennen Sie. Die Anklage, das schwere Unglück, das zwei Opfer heischte — sie, Manon Devereux und mich, die Gräfin Wallhoven."
„Aber wie, aber wie? — Wie kam das Alles? Noch sehe ich nicht klar, noch ist es mir ein undurchdringliches Geheimniß "
„Am Sylvester die Ballnacht, die wir in Jugendlust durchtollten und am nächsten Tage ein Krankenlager. — Manou Devereux hatte mit Heinz im zugigen Hausflur gestanden und langen schmerzlichen Abschied genommen, denn am nächsten Tage sollte sie uns verlassen."
„Barmherziger Gott, sie, die Lebensvolle, die aufbrechende Rose kam erst heim in ihrem schwarzen stillen Schrein, ein stilles weißes Wachsbild, das ich zurückgeleiten mußte," fiel er entsetzt ihr ins Wort.
„Damals — setzt weiß ich, weshalb Sie mir beim ersten Sehen so bekannt erschienen — sind wir flüchtig an einander vorübergestreift, als sie mich halb von Sinnen aus der Todtenkammer zerrten, nachdem man Sie telegraphisch gerufen. — Damals hörte ich ihren Namen nicht, — damals ."
„Deine Schuld aber, Deine Schuld dabei," erinnerte Professor Lenz die Abirrende. Sie strich sich über die feuchte Stirn hin und kehrte zur Sache zurück.
„Gott hat es anders gewollt. Lebend hat Manon Devereux Schloß Wallhoven nicht mehr verlassen. Am nächsten Tage war sie erkrankt, im Laufe desselben verschlimmerte sich der Zustand. Der Arzt aus der nächsten Stadt wurde gerufen. Er constatirte eine nicht sehr gefährliche Diphtheritis und machte seine Verordnungen. Meine überängstliche Tante untersagte ihren Töchtern das Betreten des Krankenzimmers. Die durch die Festtage überarbeiteten Dienstboten zeigten sich theils furchtsam, theils unlustig zur Nachtwache. Dem Einzigen, der sich willig dazu bereit gefunden, verbot die Schicklichkeit das Wärteramt. So bot ich mich an, da ich stets eine fanatische Vorliebe für solches Amt gezeigt und unsere Dorfleute mit Umsicht und Geschick gepflegt, erbot mich, so lauge dort Wache zu halten, bis eine Wärterin aus der Stadt mich ablöseu konnte.
Mein Vetter schien eine Secunde protestiren zu wollen, er sah mich mit Mißtrauen an und öffnete
schon die Lippen, aber Wohl oder übel mußte er sich dem kategorischen Imperativ der obwaltenden Verhältnisse fügen. Der Arzt wiederholte mir seine Verordnungen, schärfte mir wiederholt die pünktliche Anwendung der Arznei, der Gurgelwasser und äußeren Einreibungen der geschwollenen Mandeln ein, dann ging er, und ich installirte mich in dem tiefen Großvaterstuhl zu Häupten des Krankenlagers.
Die ersten Stunden der Nacht hielt ich mit fester Willenskraft den Schlaf mir fern und erfüllte gewissenhaft meine Pflicht, aber eine durchtanzte Ballnacht, ein unruhiger Neujahrstag mit schweren Dinerweinen und das Schlafbedürfniß meiner achtzehn Jahre, werden Ihnen vielleicht erklären, was Keiner der Anderen mir glauben wollte. Ich hatte mich ja zur einsamen Krankenwache gedrängt — natürlich mußte es vorgeplanter abscheulicher Mord sein, nichts weiter," lachte sie schneidend auf. „Ich erwache von leisem Stöhnen mitten in der Nacht, reiße gewaltsam die bleischweren Augen auf. Manon sitzt aufrecht im Bett und sucht aus einer der Flaschen vom Tisch sich Etwas in den Löffel zu gießen. Ich taumele in die Höh, nehme Flasche und Löffel ihr ans den schwankenden Händen gieße mechanisch voll, führe mechanisch auch den Löffel ihr an die Lippen und schütte, als sie schaudernd widerstrebt, den Inhalt etwas gewaltsam ihr in den Mund. Auf mir lag noch die dumpfe Schwere des Opiumrausches.
Ich höre noch, wie sie leise aufächzt. „Es brennt, brennt fürchterlich," — und dann dreht es sich um mich in schwindeldunklen Kreisen. Ich kann schwankend nur noch den Stuhl erreichen und nun legt es sich nochmals um mich in bleischwerer Besinnungslosigkeit. Ich weiß nicht, ob Sie solche Todtmüdigkeit kennen gelernt, bei mir war's das erste und letzte Mal in meinem ganzen Leben. Ob mich das grauenhafte Aechzen da neben mir geweckt oder was sonst, ich weiß es nicht anzugeben. Ich springe zur Klingel, rufe Hülfe herbei. An den verglasten Augen der Kranken erkannte selbst meine Unerfahrenheit, daß eine unheilvolle Veränderung eingetreten.
Heinz warf sich aufs Pferd, der Wagen folgte. Der Arzt war spät erst zur Stelle. Er war über Land gefahren. Heinz und ich theilten die Krankenwache in Todesangst, bis er kam. Manon hatte da schon die Besinnung verloren. Bis zum Abend freilich noch rang die blühende Jugendkrast, dann trat sanft der Tod ein. Der Arzt schüttelte den Kopf. Die Diphtheritis konnte unmöglich die Ursache gewesen sein. Verzweiflung und Haß rissen das erste anklägerische Wort von meines Vetters Lippen. Der Arzt folgte der Spur — am nächsten Tage schon sprachen sie es Alle laut aus: die