536
L. Zoeller-Lionheart. Ihr Geheimniß.
Arznei und die Einreibung waren verwechselt — die Unglückliche war vergifet, vergiftet durch meine Hand. Die Obduction, Sie wissen es ja, hat jenen Verdacht bestätigt. Sie waren ja zugegen.
Was dann kam, ich weiß es nicht. Ich war wie erstarrt, wie zerschmettert. Nacht, geistige Nacht oder Krankheit, genau darauf besinnen kann ich mich nicht — es ist aus meinem Leben wie ausgelöscht. Zum klaren Bewußtsein kam ich erst in der Untersuchungshaft.
Ich habe dann sieben Jahre in der Haft zugebracht, dann wurde ich begnadigt. Mein Vater hat mich nie angehört, hat mich verstoßen, bis — bis gestern, wo er versöhnt in meinen Armen starb."
Mit einem: „armes Weib, arme unglückliche Sybille!" hatte Professor Lenz die Zusammensinkende tief bewegt in seine Arme aufgefangen und hielt sie fest an sein Herz gepreßt.
Aus großen verwunderten Augen blickte sie ungläubig zu ihm auf.
„Du? — Du? —- Du stößt mich nicht von Dir?" stammelte sie grenzenlos erstaunt.
„Ich halte Dich fest, fest mit der ganzen Kraft meiner Liebe!" rief er immer lauter, immer überzeugungsvoller. Dann folgte langes Schweigen. Sybille lag ausruhend von allen Stürmen, mit geschlossenen Augen matt an seiner Brust. Er blickte in tiefer Ergriffenheit unsäglich liebevoll auf sie nieder.
Wie schön, wie herrlich schön hatte sie die Versöhnung mit dem Geschick gemacht, indem es alles Herbe, Scharfe aus diesen madonnenmilden Zügen ausgeglättet. Wie köstlich mußte dies süße Frauenantlitz sein, erleuchtet von Freude und stillem Glück!
„Freude und Glück!" wiederholte er unwillkürlich halblaut.
Es brach den Zauber. Seufzend hob sie das Haupt, wollte sich sanft aus seinen Armen lösen.
„Die Hab' ich in diesen beiden Tagen überreich gekostet. Ich habe mich mit meinen beiden Liebsten auf der Erde ja aussöhuen dürfen. Nun laß mich still meines Weges ziehen, Geliebter, zurück an die liebgewordene Arbeit, zurück an die Pflicht."
„Die höchste des Weibes bannt sie an die Seite des geliebten Mannes," sagte er kraftvoll.
„Das kann nicht sein, Du weißt es," widerstrebte sie unsicher mit versagender Willenskraft.
Statt aller Antwort schloß er sie nur fester an sein Herz. „Du bist mein, mein schwererrungenes, köstliches Hab und Gut, mein eigenstes. Das Leben ist Dir viel schuldig geblieben an Freud und Glück; — laß mich versuchen es gut zu machen, —- vertrau Dich meiner. Liebe an."
„Und die Menschen? — die menschliche Gesellschaft?" wehrte sie schwächer und schwächer.
„Kennen sie Dein Geheimniß? — Ist nicht Gräfin Wallhoven eine Verschollene, Vergessene, fast unbekannt in der Welt? — Und hebt sich doch Einer anklagend gegen Dich aus, bin ich nicht da, Dich zu schützen, zu vertheidigen mit der sieghaften Wahrheit: sie war eine Unglückliche — keine
Schuldige, sie ist mein würdiger Kamerad, mein ebenbürtiger Gefährte in Freud und Leid. Laß die engherzige Welt, wir leben uns allein, das reine Selbstbewußtsein erhebt uns über jede falsche Beschuldigung. Dein Geheimniß ist heute auf ewig begraben zwischen uns, Sybille Werder, es ruht im sicheren Gewahrsam meiner unaussprechlichen Achtung und Liebe!"