Heft 
(1.1.2019) 12
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vr. I. Steinbeck.

holt, die ein ganzes Menschenleben vor- und das Herz bis in's Alter jung halten soll. Heidelberg und seine Studenten, dieser Platz und eine deutsche Universität sind untrennbare Begriffe, sie gehören für uns zusammen, wie Schönheit und Jugend.

Darum ist die 500 jährige Jubelfeier ihres Be­stehens, die die altberühmte Ruperto-Carolina zu begehen sich anschickt, kein locales Fest; es gehört weder der Stadt Heidelberg, noch dem badischen Lande allein, auch dürfen es die Männer der Wissenschaft nicht für sich feiern wollen; die Ge­bildeten der ganzen deutschen Nation, ja säst möchte man sagen: der ganzen Welt. Jeder, der einmal hier in seiner Jugend Tagen die bunte Studenten­mütze getragen oder je als Tourist von der Höhe des Heidelberger Schlosses den wonnetrunkenen Blick über all die Herrlichkeit hat schweifen lassen: sie Alle feiern den Ehrentag Heidelbergs und seiner Universität mit.

Auch wir senden unfern jubelnden Gruß und Glückwunsch hinüber zu derStadt fröhlicher Ge­sellen, an Weisheit schwer und Wein," oder nein! wir selber wollen ihn überbringen, indem wir der Perle im deutschen Städtekrauz einen Besuch abstatten.

Station Heidelberg!" ruft der Schaffner in's Coups. Wie trocken das klingt und wie jubelnd es in unserm Herzen widerhallt! Alsalte Herren," welche Lebens Müh und Amtes Last den frischen Muth und Sinn der Jugend fast hatten vergessen lassen, stiegen wir daheim in den Wagen - alsflotte Bursche" mit einem Liede auf den Lippen steigen wir aus. Nein, nein, keinen Hotelwagen, der Som­mernachmittag ist schön, das Gepäck bringt ein flinker Bursche in Sicherheit, wir aber schlendern Arm in Arm zunächst durch die Straßen der Stadt, alte Erinnerungen wach zu rufen und die altenFeuer­stätten" unserer akademischen Brausezeit aufzusuchen. Viele freilich finden wir nicht wieder, auch Heidel­berg hat sich mächtig verändert, wie Alles in unserer schnelllebigen, rastlos umstürzenden Zeit. In der Leopoldstraße sind die Hotels wie Pilze aus der Erde geschossen und die steifleinenen Engländer scheinen sich in's Ungeheure vermehrt zu haben, die Promenade zeigt heute einen großstädtischen Cha­rakter. An dem erzenen Wrede-Standbilde und an dem schlichten Sandsteine vorüber, der an Bun- sen's und Kirchhoff's berühmte Entdeckung der Spectralanalyse erinnert, schreiten wir und grüßen als alte Bekannte die Häuser, in denen der Lite­raturhistoriker Gervinus und der Historiker Häußer zu unserer Zeit wohnten. Da liegt die alte, jetzt neu hergestellte Peterskirche mit ihren epheuum- rankten Strebepfeilern und ihrem duftenden Rosen­garten, wie ein liebliches Klosteridyll inmitten der modernen Umgebung, dort drüben wohnte Blunt- schli; hier, im Hofe der Volksschule, steht noch das

Häuschen, in dem der berühmte Uebersetzer des Ho­mers, Johann Heinrich Boß, gelebt hat, und jetzt

Herkules am Scheidewege! Hier führt die Fahr­straße hinauf zum Ziele unserer Sehnsucht, zum Schloß. Sollen wir folgen? Nein, erst vollenden wir den Gang durch die Stadt und dann, zurp Sonnenuntergänge steigen wir hinaus.

Am Hause des Historikers Schlosser vorüber gelangen wir durch die Gartengaffe zum Gymna­sium, dem sogenannten Hexenthurm, und zum Lud­wigsplatz, wo einst im Augustinerkloster Luther vor Hof, Studenten und Bürgern 40 Thesen vertei­digte, und dort, das alte, mit einem kleinen Thürm- chen versehene Haus ist die Universität. Wie un­scheinbar und unansehnlich! Und doch, welche Fülle von Erinnerungen knüpfen sich für uns an das altersgraue Gebäude! Hier gingen wir ein und aus, die Collegienmappe unter dem Arm, und wollen wir uns überzeugen? hier prangt im Karzer" noch in berühmter und nichtberühmter Gesellschaft, von unserer Hand eingeschuitten, der Name des flotten Musensohues. Nicht weit davon grüßt ebenfalls ein alter, werther Bekannter, die Universitätsbibliothek, deren größte Schütze einst Maximilian von Bayern nach der Einnahme Hei­delbergs durch Tilly dem Papste schenkte und deren theilweise Rückerstattung die Universität der preu­ßischen Regierung am Anfang dieses Jahrhunderts verdankt. Immerhin sind noch 3000 Handschriften und 5000 Druckwerke in Rom geblieben und uns wohl auf immer verloren. Trösten wir uns, die halbe Million Bände, die die Bibliothek heute um­faßt, bietet der Schätze auf allen Gebieten des Wissens noch über und über genug. In der Heu­gasse dort das schmale, zweistöckige Häuschen sie haben's noch nicht mit einer Gedächtnißtafel geschmückt hatte die Ehre, mich als eivsni aea- äsraiaurn zu beherbergen und dort drüben wohnte Sie. Merkwürdig, wie das Alles lebendig wieder auslebt! Wiedamals ist am Erkerfenster ein blonder Mädchenkopf sichtbar und wie damals grüße ich ritterlich-galant hinauf. Die Jungfrau dankt be­fremdet und erröthend dem Gruße des Fremden

's mag ihre Tochter sein wer weiß? Vor­über, vorüber!

Das ist derRitter," das einzige Privathaus, welches uns von der Pracht des alten Heidelbergs erzählen kann. Ein eingewanderter Hugenott hat es im Jahre 1592 gebaut und wie durch ein Wunder ist es der Einäscherung beim Brande der Stadt im Jahre 1693 entgangen. Gegenüber hebt sich ernst und majestätisch die Heiliggeist-Kirche, die Begräbnißstätte der alten Kurstürsten. Auch jene Gräber haben die Franzosen in dem furchtbaren Jahre mit frevelnder Hand entweiht und zerstört

wie zur Vergeltung geschah genau 100 Jahre