Alt Heidelberg, Du feine.
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darauf derselbe Frevel der Grabschändung in der französischen Königsgruft zu St. Denis. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Doch fort mit den düstern Bildern der Vergangenheit, die Gegenwart bietet des Schönen so viel und auch die Geschichte früherer Zeiten weiß hier von Freundlicherem zu erzählen. Da ist der Markt mit dem faruesischen Herkules; hier stand neben dem Rathhause das alte Wirthshaus „zum Hirschen", das Keiner von uns gesehen und das wir alle doch aus Anton von Werner's genialen Bildern genau kennen. Im Hirschen kehrte ja der durstige Rodenstein ein, von
Friedrichsbau.
dem uns Scheffel die köstlichen Lieder gesungen; hier hatte Goetz von Berlichingen sein ergötzliches Zusammentreffen mit dem Bischof von Worms, das nach des Ritters Selbstbiographie uns Goethe im „Götz" erzählt hat. Goethe — auch sein Name ist mit Heidelberg verwoben. Am Karlsplatze verlebte er herrliche Tage im Angesichte des Schlosses in dem gastlichen Hause der Gebrüder Boisseroe, von hier aus genoß er, wie wir jetzt, den imposanten Blick auf die wunderbare Ruine. Und wenn wir durch das Karlsthor schreiten, das die guten Väter der Stadt im Jahre 1755 zu bauen beschlossen, weil die Stadtkasse sich eines Ueberflusses
von 84,000 st. erfreute, was nachher nie wieder eingetreten sein soll, und wenn wir dann noch ein paar Schritte weiter in das sich plötzlich verengende Thal Vorgehen, so kommen wir zu der Stelle, von der Goethe 1797 in der Schilderung seiner Schweizreise schreibt: „Hier hat die Lage und Gegend keinen malerischen, aber einen sehr natürlich schönen Anblick. Gegenüber sieht man die hohen, gutgebauten Weinberge in ihrer ganzen Ausdehnung; die kleinen Häuser darin machen mit'ihren Lauben sehr artige Partien, und es sind einige, die als die schönsten malerischen Studien gelten
könnten. . . . Die Brücke zeigt sich von hier aus in einer Schönheit, wievielleicht keine Brücke der Welt; durch die Bogen
sieht man den Neckar nach den stachen Rheingegenden fließen, und über ihr dielichtblauen Gebirge jenseits des Rheins in der Ferne."
Die alte Brücke ist gemeint, denn die neue, die weiter stromaufwärts über den Neckar führt, existirte damals noch nicht. Beide sind Repräsentanten ihrer Zeit: diese, 1877 vollendet, spannt schlanke, eiserne Bogen über den Strom, jene, 90 Jahre älter, liegt schwer und wuchtig mit steinernen Wölbungen auf ihm. Leicht und gefällig ist der Anblick der ersteren, aber den malerischen Reiz hat die ältere Schwester für sich. Gleich schön aber ist der Ausblick von Beiden, und wenn, an einem sonnigen Herbsttage der Blick nach der Rheinebene und der Hart, auf die Bergstraße und aufwärts aus Berg, Stxom, Stadt und Schloß schweift, die ganze Landschaft sich dabei von leichtem Nebel, wie von einem duftigen Schleier umhüllt, zeigt: dann zieht die Poesie jubelnd in das
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