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A. von Winterfell».
. . . Schatten von Schatten, möchte man sagen. Endlich konnte es die Jüngere nicht länger ertragen ... die Neugier ließ ihr keine Rahe. „Bitte, erzählen Sie doch" . . mahnte sie.
Die Aeltere wollte eben ansangen, als sie eine Fran durch die Portiere treten sah, ein schönes, bleiches junges Weib im Morgenanzng ... die Andere hatte sie ebenfalls gesehen und setzte schweigend ihre Arbeit fort. . .
„Wie traurig Sie anssehen, gnädige Frau . . . wie Sie zittern!" wandte sich die Matrone an ihre Herrin . . . „haben Sie doch Muth . . . jetzt wo er jeden Augenblick kommen kann, bedürfen Sie ihn am meisten. . ."
„Ich werde ihn haben, wenn es nöthig ist," sagte sie dann, sich gewaltsam zusammennehmend . . „sind alle meine Anordnungen befolgt, liebe Holmberg? ..."
„Jeder ist auf seinem Posten, gnädige Frau... hier sind die Zeitungen und Briefe, die ich auf den Tisch legen sollte . . . ganz wie ehedem . . . und die Bücher des Kleinen ... die Münchner Bilderbogen . . . Robinson Crusoö .... die Nummer der Norddeutschen Allgemeinen vom 15. Juli."
„Gut!" die Dame wandte sich jetzt an die jüngere Dienstbotin.
„Das Spielzeug des Kindes?"
„Unten im Bücherspind, gnädige Frau."
„Ist Gustav angekleidet?"
„Jawohl, gnädige Frau . . ich habe ihn schon um vier Uhr ausgenommen ... er ist im Nebenzimmer mit dem Herrn Doctor. . ."
„Haben Sie auch nichts vergessen, Lisette? — — der schwarze Sammetanzug?" — —
„Ganz wie die gnädige Frau besohlen."
Diese zog ihre Uhr und warf einen Blick darauf:
„Er müßte eigentlich schon hier sein . . . ich beginne zu fürchten. . ."
Doch die alte Frau Holmberg wußte zu trösten . . die Wege wären ja jetzt im Herbst so schlecht .... und Herr von Dornblatt wäre doch bei ihm, der würde schon sorgen, daß alles recht geschähe . . der wüßte ja ganz genau, daß der gnädige Herr im Dunkeln ankommen müßte . . . und es wäre ja erst fünf und der Tag noch so fern" .... Hier unterbrach sie sich und trat an das Fenster, das nach dem Garten ging, . . . noch kein Schimmer von Morgendämmerung ... die alten Bäume just so dunkel wie zuvor . . . dann ließ sie auch das Rouleau herunter und kam zurück ... die gnädige Frau könnten ganz unbesorgt sein . . sowie der gnädige Herr käme, bliebe in diesem Zimmer nur die Nachtlampe brennen...
Frau von Schellenberg schien beruhigt . . sie
nickte zufrieden mit dem bleichen Haupte und schritt dem Nebenzimmer zu.
„So will ich dem Kleinen znm letzen Mal seine Lektion geben . . . dann möge der Allmächtige wciterhelfen."
„Sie wollten mir erzählen, Frau Holmberg," erinnerte Lisette, als sich die Thür hinter ihrer Herrin geschlossen.
„Gewiß, Kind! ... ist es doch von höchster Wichtigkeit für unser Werk, daß Sie von Allem Bescheid wissen . . . hören Sie also: Vor zehn Jahren heirathete unsere gnädige Frau den Herrn v. Schellenberg. Beide reich und durch wahre Herzensneigung verbunden, konnten die jungen Leute mit vollem Recht für glücklich gelten. Sie lebten wie die Turteltauben miteinander und wurden beliebt und verehrt in der ganzen Gegend. Das Erscheinen eines kleinen, bildschönen Knaben setzte ihrer irdischen Seligkeit die Krone auf. Eines Tages, es sind nun gerade vier Jahre her, spielte Herr v. Schellenberg mit dem Kleinen auf dem Rasen herum, und die gnädige Frau sah ihm lächelnd zu. Plötzlich aber brach sie in Helle Thränen aus. Ich stand neben ihr und fragte nach dem Grund . . . »ach, ich bin zu glücklich!« gab sie zur Antwort . . . »mein Leben ist zu schön . . . dies Glück erschreckt mich . . es scheint mir fast undenkbar, daß nicht ein großes Mißgeschick sich in der Stille vorbereiteu sollte.« . . . Es war gerade der Geburtstag des kleinen Gustav. Am nächsten Tage sollte Herr v. Schellenberg, nach der Rückkehr von der Jagd, bei Herrn v. Darmblatt, seinem besten Freunde, speisen."
Lisette nickt.
„Das war derselbe Name, den Sie vorhin nannten," sagte sie, „der Herr, der mit unserm Herrn hier ankommen sollte . . . ."
„Ganz recht. Ich muß aber noch voraus- schicken, daß die gnädige Frau nie ein Fenergewehr ansehen konnte, ohne zu zittern, und daß sie unaufhörlich ihren Gatten bat, nicht mehr auf die Jagd zu gehen. Diesmal legte sie aber soviel Gewicht auf ihren Wunsch, daß Herr v. Schellenberg ihr nicht allein versprach, der morgenden Partie, sondern der Jagd sogar für alle Zukunft zu entsagen. Um seinen Freund aber nicht zu kränken, wollte er mit dem Kinde am Diner theilnehmen."
„Mit dem Kinde? . . dem kleinen Gustav?" wiederholte erstauut die Andere . . . „vor vier Jahren? ..."
„Nein doch . . mit diesem nicht. . . Der war noch nicht geboren . . . mit dem andern". .
„Mit welchem andern?"
Frau Holmberg machte lebhafte Zeichen der Ungeduld.
„Unterbrechen Sie mich doch nicht," sagte sie,