Gustav.
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„und küssen Sie mich auserzählen. Man hatte also dem Kinde seine schönsten Sachen angezogen . . . und wie freute es sich darüber! Die ganze Tischgesellschaft bei Herrn v. Dornblatt hatte nur Augen für den Kleinen. Nach dem Diner rauchten die Herren auf der Terrasse. Da der Himmel bedeckt war, amüsirte mail sich damit, nach Schwalben zu schießen, die ganz niedrig flogen, als wenn ein Gewitter im Anzüge sei. Sein Versprechen außer Acht lassend, nahm unser Herr ebenfalls ein Gewehr . . . und durch einen unerklärlichen Zufall . . ."
Frau Holmberg stockte. . . Lisette sah sie erschrocken an . .
„Allmächtiger Gott!" flüsterte sie . . . „er tödtete? ..."
Die Alte bestätigte es durch ein ernstes Nicken des grauen Hauptes.
„Ha . . . Sie haben es ausgesprochen . . das Kind . . sein einziges Kind. ..."
Dann trocknete sie die feuchten Angen und ließ sich tief ergriffen aus einen Stuhl sinken. Lisette legte still die Hände in einander, als wenn sie beten wollte. Frau Holmberg faßte sich bald wieder und fuhr fort.
„Nach einer Scene maßloser Verzweiflung, indem mau den Herrn nur mit Mühe zurückhalten konnte, sich zu tvdten, sank er bewußtlos nieder ... und als er endlich wieder zu sich kam, war er wahnsinnig."
„Und die arme Mutter?" fragte das Mädchen.
„Sie würde ohne Zweifel dem Schmerz erlegen sein, wenn sie nur allein gestorben wäre . . . aber sie lebte des Kindes wegen, das sie unter dem Herzen trug ..."
Lisette blickte nach der Thür des Seitenzimmers, als wenn sie eine Frage lhun wollte . . Frau Holmberg antwortete darauf, ohne daß sie laut geworden.
„Jawohl . . . der kleine Gustav, der wenige Monate nach dem entsetzlichen Ereigniß zur Welt kam. Im Zustand des Herrn war bald eine bedeu- tendeVerschlimmerungeingetreten. DoctorFauken,ein alter Freund des Hauses, sprach sich dahin aus, daß es nur ein Mittel gäbe, den unglücklichen Vater zu retten, und zwar seine schleunige Entfernung aus diesen Räumen. Da er nicht allein reisen, und die gnädige Frau ihu nicht begleiten konnte, so erbot sich Herr v. Dornblatt dazu, der von jenem Tage an ihn auch uicht mehr verlassen hat."
„Der Herr ist also jetzt geheilt?" fragte das Mädchen.
„Geheilt?" wiederholte verwundert die Holmberg.
„Nun . . da er hierher zurückkehrt!"
Die Alte bewegte verneinend das Haupt.
„Leider ist er noch immer in demselben Zustand. ..."
Dann brach sie ab und horchte nach dem Fenster hin . . . alles still. . . sie blickte fragend auf Lisette, ob die nicht ebenfalls gehört. . . da! . . . jetzt war's aber gewiß . . . jetzt hatte es noch einmal geklungen . . . das war das Signal, das der Wächter geben sollte, wenn er die Extrapost erkannt . . . bald darauf vernahm sie selbst das Rollen eines schnell fahrenden Wagens . . . kein Zweifel mehr, er kommt . . . dann winkte sie dem Mädchen, daß sie gehen solle. <—
„Schnell! Schnell fort! . . . und nehmen Sie die Lampe mit!"
Kaum war die fort, als Frau von Schellenberg aus dem Nebenzimmer kam.
„Frau Holmberg," sagte sie mit leisem, gepreßtem Ton . . . „habe ich recht gehört? . . . fuhr nicht ein Wagen vor? ..."
Die Alte trat an's Fenster und blickte vorsichtig hinter dem Rouleau hervor.
„Sie sind es, gnädige Frau . . . Herr v, Dornblatt steigt eben ans und tritt an die Thür. ..."
„Allein?"
„Ja! . . doch jetzt sehe ich ... es sitzt noch Jemand im Wagen . . . nun beugt er sich vor . . . er ist es, guxidige Frau, er ist es! . . . Ich lasse Sie allein und gehe auf meinen Posten."
Damit huschelte sie ab, wie alter Weiber Art ist, und machte die Thüre ganz leise hinter sich zu.
Einen Moment später trat Herr v. Dornblatt in das Gemach, das jetzt fast einem Krankenzimmer glich.
Die Dame machte ihm einen schnellen Schritt entgegen.
„Wo ist Arthur?" flüsterte sie.
„Unten im Wagen," klang es ebenso zurück, ... „seien Sie auf Ihrer Huth, gnädige Frau . . . ich wollte mich erst überzeugen, ob alles vorbereitet sei. ..."
„Alles! ... wie befindet er sich jetzt?"
„Wie ich schon in meinem letzten Briefe geschrieben . . . weit geringer erregt und über alles sprechend, wie ehedem . . . aber immer noch dieselbe fixe Idee ..."
„Er fährt also wirklich fort, zu glauben?"
„Daß sein Anblick Ihnen Entsetzen einflößen müsse, und daß Sie ihn verantwortlich machen würden für die unglückselige That."
Das arme Weib rang in stiller Verzweiflung die weißen Hände.
„O, mein Gott! und ich habe ihn seitdem nur um so mehr geliebt. ..."
„Ich weiß, ich weiß ja" . . . unterbrach der Freund . . . „wie oft habe ich ihm Ihre sanften, zärtlichen Briese vorgelesen. . »nein!« bekam ich aber jedesmal zur Antwort. . »das ist unmöglich