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A. von Minlerfeld.
... sie kann mir niemals verzeihen . . . niemals!« . ."
Dornblatt trat an's Fenster, um einmal nach dem Wagen hinunter zu sehen . . . „er glaubt immer, daß er von der Polizei verfolgt wird," fuhr er dann fort, . . . „daher das fortwährende Drängen nach Wohnungswechsel, die plötzlichen Abreisen und Fluchtversuche. ..."
Frau v. Schellenberg faßte seine Hand und drückte sie.
„O verzeihen Sie, daß ich Ihnen noch nicht genug gedankt für Ihre grenzenlose Hingebung! Welch' entsetzliche Existenz ist Ihnen aus Ärthur'S Freundschaft erwachsen! Wie viele Stunden, die Ihnen sonst schnell und froh verflossen sein würden, mußten Sie jetzt fern von Ihrer Heimat, Ihren Freunden verleben, mit einem Unglücklichen, der nicht einmal seinen Verstand hat. O, wie habe ich Sie beklagt, und wie habe ich Sie gesegnet! Sie haben entsetzlich leiden müssen . ."
Herr v. Dornblatt küßte die Hand, die noch in der seinen ruhte.
„Ich würde mich besser und stärker machen, als ich es in Wahrheit bin," entgegnete er schnell und mit einem ängstlichen Blick nach der Thür, „wenn ich Ihnen sagen wollte, daß meine Kraft niemals geschwankt, daß sie niemals in Gefahr gewesen wäre, von der Last meiner Aufgabe erdrückt zu werden; aber Ihre dankbaren, vertrauenden Briefe richteten den sinkenden Muth stets wieder auf. Dann begrüßte ich mit Freuden jene neuliche Nachricht wie das Licht frischer Hoffnung nach langer Krankennacht. Ist denn aber jene Aehulichkeit wirklich so groß, daß sie im Stande sein könnte, ein Vaterauge zu täuschen? — Denn Arthur. . vergessen Sie das nicht . . ist im Besitz seiner Erinnerung geblieben."
Frau v. Schellenberg öffnete die Thür des Nebenzimmers, damit Dornblatt sich selbst überzeuge.
„Das ist allerdings zum Verwechseln," sagte er mit freudigem Staunen; „aber glaubt der Doc- tor nicht, daß diese Aehnlichkeit nur dazu dienen könne, die Erinnerung an das Geschehene noch lebhafter aufzufrischen?"
„Gewiß!" . . . war die Antwort . . . „aber er hofft auf ein glücklich Gelingen . . . dieser Hoffnung müssen wir ja auch noch so manches Andere anvertrauen . .. das Ueberseheu großer Uuwahrschein- lichkeiten . . . wenn Gott nicht seine Hand über uns hält, gelangen wir überhaupt nicht an das Ziel."
Da kam die alte Holmberg wieder hereiuge- huscht.
„Gnädige Frau!" tuschelte sie in großer Aufregung . . . „er ist da! er kommt!" . . . und fast
in demselben Moment wurden unsichere Schritte vor der andern Thür laut.
„Dornblatt!" rief es erst gedämpft und dann etwas lauter . . . „Dornblatt!"
Das junge Weib erzitterte beim Klang dieser so lange nicht gehörten Stimme . . . er war es . . er . . ihr unglücklicher Gatte. Doch sie durfte nicht länger bleiben; noch einmal winkte sie dem treuen Freunde zu und zog daun die alte Dienerin mit sich hinaus. Schon ans der Schwelle des Nebenzimmers drang der wehmüthig klagende Ton noch einmal an ihr Ohr.
„Dornblattl. . . hörst Du mich nicht? . . . wo bist Du denn geblieben?"
„Hier bin ich ja, lieber Freund ... weshalb gingst Du mir nach? . . ich würde Dich ja geholt haben."
Mit den Worten öffnete er die Flurthür, hinter welcher der arme Schellenberg sichtbar ward.
Er war bleich und abgehärmt, sein Blick hatte etwas Mißtrauisches und im ganzen Wesen sprach sich jene Unsicherheit aus, die man immer bei Irrsinnigen antrifft. Er blieb jenseits der Schwelle und ließ den unsteten Blick ängstlich durch das Zimmer gleiten.
„Weshalb hast Du mich allein gelassen?" begann er nach beendeter Prüfung.
„Aus Vorsicht, lieber Schellenberg . . . ich mußte doch erst das Haus durchsuchen."
„Jawohl . . . schon recht . . . doch weshalb ist es so dunkel hier?"
„Auf meine Anordnung . . . ich wollte die Aufmerksamkeit der Nachbar» vermeide» ..."
Das beruhigte den Kranken etwas und erwachte einen Schritt in das Zimmer, dessen Thür der Andere hinter ihm schloß. Schellenberg blieb wieder stehen und spähte mit den Blicken im Zimmer umher.
„Wo sind wir eigentlich?" fragte er daun, nachdem er nichts Beunruhigendes gesunden.
„Ich sagte es Dir ja bereits ... in einem Landhause, das ich auf meinen Namen gemiethet... Doch Du wirst der Ruhe bedürfen, lieber Freund ... mache es Dir bequem ..."
Damit half er ihm den Paletot ausziehen, nahm ihm den Hut ab und trug beides auf einen Stuhl ....
„Willst Du Dich nicht ein wenig niederlegen?"
Der Kranke bewegte leise ablehnend das Haupt.
„Nein . . . nein ... ich bin nicht müde" . . . Dann befühlte er aufmerksam seine Stirn, als wenn er dort etwas Beunruhigendes suchte. . . „Seit einiger Zeit fühle ich hier einen Schmerz," sprach er weiter.. „eine Schwere und Mattigkeit"... dabei sah er Dornblatt mit einem ängstlich beobachtenden Blicke an... „es giebt Augenblicke, in denen ich fürchte, den Verstand zu verlieren ..."