Gustav.
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„Sie entsinnen sich aber doch, daß Sie gestern Abend aussahren wollten?" fragte er.
„Ausfahren? . . . gestern Abend . . . allerdings ..."
„Sie fieberten fast gar nicht mehr; nur die Ideen waren noch etwas confns . . bei dem schönen Abend glaubte ich, es erlauben zu dürfen, namentlich da Herr v. Dornblatt sich erbot, Sie zu begleiten . . Sie erinnern sich doch . . wie? . ."
„Freilich . . mit Dornblatt. . . ja . . ja . . ."
„Sie kamen erst zurück, als es schon ganz dunkel war..."
„Ja! . . ja! . . ."
„Sie legten sich auf diesen Divan? ..."
„Ja! . . ja! . . ."
„Und schliefen ein, bis Sie erst jetzt erwachten ..."
Schellenberg bestätigte auch dies. . eine Cent- nerlast schien von seiner Brust gefallen . . in den eingefallenen Angen zeigte sich seit langer Zeit der erste freudige Schimmer. Der Arzt erhob sich und nahm Abschied, mit dem Versprechen bald wieder- znkvmmen; Marie begleitete ihn hinaus, um in der Eile sein Urtheil zu hören und neue Instruction in Empfang zu nehmen.
Mißtrauisch war aber der Kranke immer noch. Die Hoffnung hatte nur die gequälte Seele berührt, wie der Abendwind über welkende Blumen zieht... er ist nicht im Stande, die gesenkten Köpfchen aufzurichten, die unter des Tages Hitze gelitten . . . es bedarf erst des befeuchtenden Regens, die kranke Wurzel zu beleben und den siechen Organismus neu zu schaffen.
Schellenberg blickte den Abgehenden nach, bis die Thür sich hinter ihnen geschlossen; dann sah er aus dem Fenster, klopfte an die Möbel, Prüfte die Bilder, tastete hier und tastete da, um die Ueberzeugung in sich erstarken zu lassen.
Da ging die Thür aus und Dorublatt trat ein, in demselben Anzug, den er getragen, als die grause That geschah.
„Nun Arthur, wie geht's heute Morgen?" fragte er mit großer Unbefangenheit. . „viel besser. .
nicht wahr? . ."
Schellenberg gab keine Antwort, sondern sah ihn nur starr an.
„Bist Du Marie und dem Doctor begegnet?" fragte er endlich.
„Nein ... ich bin von der andern Seite gekommen."
Doch der Zweifel war schon wieder erwacht und ließ sich nicht so leicht beschwichtigen.
„Hm!" machte der Kranke deshalb . . . „Du hast sie also heute noch gar nicht gesehen?"
„Nein!"
Der kurze, natürliche Ton schien dem Irren
II. 2.
wohlzuthun und das Mißtrauen wieder etwas in den Hintergrund zu drängen. Je mehr man aber hat, desto höher steigt die Begehrlichkeit. Er wollte die Sicherheit auch noch verbrieft und besiegelt haben.
„Es freut mich, Dich zu sehen," begann er deshalb nach einer Pause. . . „wollte schon zu Dir kommen, um Dir zu danken für die treuen Dienste, die Du mir auf unseren Reisen geleistet..."
„Ja, ja; wir haben ordentlich die Welt durchstreift," entgegnete lachend Herr v. Dornblatt. . . „es ist freilich schon ein bischen lange her. . . jetzt werden's gerade fünf Jahre sein . . . seit Du Dich verheirathet hast, sind wir ja immer still zn Hause geblieben" . . Schellenberg hatte sehr aufmerksam zugeh vrt.
„So?" sagte er . . . „und in den fünf Jahren haben wir gar keine Reisen gemacht?"
„Ich wenigstens nicht . . und Du?"
„Nein ... ich auch nicht!" antwortete der Kranke schnell.
„Du müßtest denn unsere gestrige Spazierfahrt eine Reise nennen," setzte Dornblatt lachend hinzu .. . „hat sie Dir gut gethan?"
„O gewiß, gewiß..."
Der Freund nahm den Hut wieder, den er aus der Hand gelegt.
„Doch nun will ich gehen, damit der Doctor mich nicht schilt. . auf Wiedersehen also."
Schellenberg hielt ihn zurück.
„Noch ein Wort," sagte er. . . „ich bin sehr krank gewesen. . . nicht wahr?"
„Das will ich meinen ... es stand das Aergste zu befürchten."
„Und . . das ist . . so ganz plötzlich gekommen? . . ."
„Freilich ... bei mir . . . nach meinem Diner . . ."
„Ganz recht . . . ich entsinne mich ... bei Dir. . . vor. . ."
„Vor acht Tagen. . . aber nun lebe wohl... heute Abend komme ich wieder ..."
Noch ein Händedruck und er war zur Thür hinaus.
Der Kranke stand erst eine Weile still; dann ging er unruhig im Zimmer auf und ab . . . befühlte sich, preßte die Stirn, wie im heftigsten innern Kampf zwischen Glauben und Zweifel.
Da kam ihm die alte Holmberg wie gerufen... sie war jetzt an der Reihe ihre Scene zu spielen...
„Ah, guten Morgen, gnädiger Herr," sagte sie... „ich suche die gnädige Frau . . . bitte um Entschuldigung ..."
„So schnell?" gab Schellenberg zurück . . . „wundern Sie sich denn gar nicht, mich wiederzusehen?" —
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